Neue Makkabäer“: Das Alte Testament in der Chronik des Peter von Dusburg

 

 

  1. Einleitung

 

Im folgenden möchte ich versuchen, eine Analyse der "Chronik des Preußenlandes" von Peter von Dusburg in Hinblick auf die Bezugnahme des Autors auf das Alte Testament vorzunehmen.

Auch wenn Peter von Dusburgs Chronik unter Berücksichtigung ihres Titels wie eine Landeschronik erscheinen mag, handelt es sich doch vielmehr um die Kriegsgeschichte des Deutschen Ordens in Preußen (wobei eine Landeschronik genau diesen Aspekt eben auch kaum ausklammern kann, sondern sich sogar vorrangig um diesen drehen muss, wenn man bei der reinen Ereignisgeschichte bleiben möchte). Das wird nicht zuletzt daran deutlich, dass sich in ihr keine Betrachtung der Wirtschafts- und Siedlungspolitik findet und dass ihr Hauptteil von der Bekämpfung der "Heiden" und der Eroberung des Preußenlandes handelt. Was dabei unter "Heiden" verstanden wird, erschließt sich beim Lesen der Chronik.

Dieses Hauptaugenmerk auf die Kriegshandlungen des Deutschen Ordens läßt eine geistige Tradition des Autors erahnen, die stark vom Kreuzzugsgeist bzw. vom Gedanken des "Heiligen Krieges" geprägt ist. Bei seinen Darstellungen beruft sich Peter von Dusburg dabei immer wieder auf Bibelworte und zitiert bei der Beschreibung der Kämpfe häufig aus den Geschichtsbüchern des Alten Testaments. Hier fällt vor allem der direkte Vergleich mit Judas Makkabäus und die Bezeichnung der Ordensbrüder als "Neue Makkabäer" auf.

Es stellt sich die Frage, ob Peter von Dusburg bei der Abfassung seiner Chronik einer geistigen Tradition folgend, die bis in die Zeit des Alten Testaments zurückreicht, sich seiner Rolle als Ordenspriester verpflichtet sah, oder ob er vielmehr erzieherische Ziele verfolgte, die sich zwingend aus der politischen und geistigen Verfassung des Deutschordensstaates im 14. Jahrhundert in Preußen ergeben mußten.

 

 

  1. Quellenkritik

 

Mit seinem im Jahr 1326 abgeschlossenenen Werk kam Peter von Dusburg vermutlich einer Aufforderung des damaligen Hochmeisters des Deutschen Ordens in Preußen, Werner von Ursel, nach, dem er die Chronik offensichtlich widmete.

Die Chronik ist in vier Teile gegliedert. Sie handelt zunächst von der Ordensgründung in Akkon und reicht bis ins Jahr 1326. Peter von Dusburgs Darstellung der Ordensgeschichte beruht – wie er selbst sagt – auf eigenen Erlebnissen, Augenzeugenberichten und "glaubwürdiger" Überlieferung, wobei er z. T. auch schriftliche Quellen verwendet zu haben scheint. Es verwundert, daß dem Chronisten, der sich selbst als Ordenspriester ausgibt, zahlreiche Irrtümer unterlaufen sind, was beispielsweise Jahreszahlen und die Aufzählung der Hochmeister angeht. Trotz aller Mängel in Inhalt und Form wird die Chronik des Peter von Dusburg in der preußischen Historiographie als deren eigentliche Grundlage bewertet.

 

 

  1. Das Alte Testament in der Chronik des Peter von Dusburg – Die Ordensbrüder als "Neue Makkabäer"

 

Peter von Dusburg sieht sich ganz offensichtlich allgemein einer biblischen Tradition verpflichtet. So versäumt er es nicht, gleich zu Beginn seiner Chronik (Prolog) in Bezugnahme auf Tobias- und Lukasworte auf seine Hingabe zu Gott und seine menschliche Unzulänglichkeit in der üblichen Toposform hinzuweisen. Trotz dieser generellen Bibeltradition und des eigenen Verständnisses als Chronisten wendet Peter von Dusburg im folgenden ein ganz bewußtes Prinzip der Auswahl von Bibelzitaten an. Da es ihm vor allem um die Darstellung der Heidenbekämpfung geht, verwundert es nicht, dass er sich zielstrebig auf die Geschichtsbücher des Alten Testaments bezieht, die ja vornehmlich von Glaubenskriegen handeln.

In der dem Autor typischen Form der Allegorie, eine stilistische Technik, die sich durch sein ganzes Werk zieht und dessen Inhalt verdeutlicht bzw. ergänzt, werden die Ordensbrüder mit dem Volk Israel und das Land Preußen mit Kanaan verglichen.

Einen direkten Vergleich mit Judas Makkabäus stellt Peter von Dusburg an, als er davon spricht, dass die Brüder – dem Beispiel des Judas Makkabäus folgend – das Preußenland von den Heiden "reinigten". Gleichzeitig beschwört der Autor Christus mit dem Makkabäer-Zitat: "Nimm also, guter Jesus, die Opfer für dein ganzes Volk an und wache über die deinen und heilige sie." In der Makkabäer-Erzählung handelt es sich hier um eine Opferdarbietung zum Tempelweihfest in Nanäa.

Einen weiteren direkten Vergleich stellt Peter von Dusburg an, als er die Ordensbrüder mit den Makkbäern gleichsetzt, die "sich in der Einöde von Gras ernährten, um der Sünde nicht teilhaftig zu werden". Er bezieht sich hier auf die Eroberung Jerusalems durch Antiochus, in dessen Folge Judas mit seinen Gefährten in die Wüste zog.

Für die "Heiden" findet Peter von Dusburg den Vergleich mit dem Hohepriester Jason, der unter der Herrschaft des Antiochus in Jerusalem die griechische Lebensweise einführte. Um die Brüder im Kampf anzuspornen und ihre Tapferkeit zu erhöhen, rät er ihnen "Trauben- und Maulbeerblut" vor Augen zu führen – gleich den Elefanten des Lysias, die damit für den Kampf gereizt würden.

Als Reaktion auf die Verwüstungen durch die "Heiden" in Polen legt Peter von Dusburg Papst Gregor IX., dem jenes zu Ohren kam, folgendes Makkabäer-Zitat in den Mund: "Rüstet euch und seid stark..., denn besser wäre für uns zu sterben, als das Unglück unseres Volkes und Heiligtums zu sehen." In der Makkabäer-Erzählung handelt es sich bei dieser Rede um einen Bittgottesdienst des Judas in Mizpa anläßlich des Kampfes mit Gorgias.

Ein paar Zeilen später führt Peter von Dusburg ein Zitat aus den Büchern der Chronik an, das m. E. sehr bezeichnend ist für den gesamten "Heidenkampf", nicht nur der Ordensbrüder, sondern der Christen dieser Zeit und aller Gotteskrieger im allgemeinen: "Denn es ist nicht euer Kampf, sondern Gottes." Gerhard von Rad stellt in seinen Untersuchungen über den Heiligen Krieg im alten Israel dar, dass nicht allein der Glaube an Gott als die Quelle der Kraft, sondern vor allem der Glaube an das direkte Eingreifen Jahwes, des Gottes Israels, die eigentliche kollektive Dynamik der Kämpfer Israels ausmachte, und dass die Losung "nicht fürchten, sondern glauben" das durchgehende Thema aller Kriegserzählungen war. Und so vergleicht auch Peter von Dusburg die Ordensbrüder wieder mit Judas Makkabäus, der gesagt haben soll: "Fürchtet euch nicht vor ihrer Menge und zagt nicht vor ihrem Angriff (…). Und laßt uns zum Himmel schreien, und der Herr wird sich unser erbarmen (…) und dieses Heer heute vernichten vor unseren Augen (…)." In diesem Zusammenhang reiht der Autor gleich verschiedenste Zitate aus den Makkabäer-Büchern aneinander, denen allen der Ansporn für den Kampf gegen die "Heiden", die er eigentlich nie genau definiert, und die Verherrlichung Gottes gemeinsam ist.

In den Kapiteln acht und neun des zweiten Teils der Chronik geht Peter von Dusburg ausführlich auf die "fleischlichen" und "geistigen" Waffen ein und bezieht sich auch an dieser Stelle sehr stark auf das Alte Testament, aus dem er die Rechtfertigung für das Waffentragen der Brüder entnimmt. Nach einer detaillierten Waffenallegorese, in der er sich u. a. auf die Makkabäer Josua und Zacharias, führt Peter von Dusburg sechs Gründe für das Waffentragen an: der Übung willen, wegen der Nachstellung der Feinde, gegen einen offenen Angriff, um des Friedens willen, um verlorenes Gut zurückzugewinnen und um die Feinde zu erschrecken. Wieder sind es vor allem die Makkabäer, von denen Peter von Dusburg die Legitimation der Ordensbrüder ableitet.

"Lieber im Kampf zu fallen, als so viele Übeltaten gegen ihr Volk und die Heiligen zu erleben", lautete der Vorsatz der Brüder vor der Eroberung der Burg Sartowitz – gleich den Makkabäern vor dem Angriff des Georgias und des Nikanor. Und bei der Belagerung derselben Burg heißt es, dass es Bruder Dietrich "ein leichtes ist, durch wenige oder viele ein Ende zu machen." Im ersten Makkabäer-Buch geht es an derselben Stelle so weiter: "...denn der Sieg im Kampf liegt nicht an der Größe des Heeres, sondern an der Kraft, die vom Himmel kommt."

 

 

  1. Versuch einer Bewertung der Chronik in ihrem politischen und geistigen Kontext

 

Der Versuch einer Bewertung der Leistung Peter von Dusburgs als Historiker mißlingt, wenn nicht der politische Kontext und die geistige Grundlage der Zeit in Betracht gezogen werden. Mehr als jede andere Epoche verdient das Mittelalter sicherlich eine besondere Berücksichtigung der damaligen Mentalität.

Die Vorstellung vom Wirken Gottes auf Erden, das Peter von Dusburg häufig mit der biblischen Formel "er tat Zeichen und Wunder" umschreibt, äußert sich besonders in den Kriegshandlungen. Es ist nicht der Krieger, der tötet, sondern es ist Gott, der direkt eingreift und Wunder vollbringt. Diese religiöse Vorstellung bildet die Grundlage Peter von Dusburgs` Denkens, die ihren Ursprung sicherlich nicht nur in seiner Vorstellungswelt als mittelalterlicher Mann schlechthin, sondern vor allem in seiner Rolle als Mönch und Ordenspriester hat.

Wenn er die Ordensbrüder im Kampf beschreibt, so hat er das Bild des "miles Christi" vor Augen. Der "miles Christi" als Idealbild des Ritterordens ist geprägt von der bedingungslosen Hingabe zu Gott, dem Kampf gegen die Ungläubigen und der Verteidigung der Kirche. In dieser Rolle sieht Peter von Dusburg die Brüder des Deutschen Ordens. Deshalb verwundert es auch nicht, wenn er sein ganz und gar einseitiges Bild vermittelt: auf der einen Seite die barbarischen Heiden, die das Land verwüsten und Frauen und Kinder ermorden würden, auf der anderen Seite die Ordensbrüder, die in seiner Darstellung lediglich ihre Heiligtümer verteidigen. Wenn Peter von Dusburg die Ordensbrüder als "Neue Makkabäer" bezeichnet, so folgt er einer Tradition, die in den Makkabäern das Vorbild für die Streiter Gottes sah. Nicht ohne Grund wurden die Kreuzritter mit ihnen verglichen.

An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob man nur von einer geistigen Tradition des Autors sprechen kann, die ihren Ursprung im Alten Testament und in der Kreuzzugsgeschichtsschreibung hat, oder ob man Peter von Dusburg nicht eine bewußte erzieherische und somit auch politische Absicht unterstellen muß, die sich aus der Situation des Deutschen Ordens im 14. Jahrhundert in Preußen ergab.

Wie schon erwähnt, geht aus der Quellenanalyse hervor, dass Peter von Dusburg im Auftrag des damaligen Hochmeisters geschrieben hat. Es ist sicher kein Zufall, dass dieser Auftrag zeitlich mit einer besonders ungünstigen außenpolitischen Situation des Ordens in Preußen zusammenfiel. Die Zeit zwischen 1309 (Eroberung Pommerellens) und 1326 ist geprägt von den Kämpfen gegen Polen und Litauen, deren Union im Jahr 1324 durch eine Heirat besiegelt wurde. Durch diese neue Machtfülle mußte sich der Orden noch stärker als bisher zur Verteidigung gezwungen sehen.

Man kann davon ausgehen, dass diese außenpolitische Konstellation und dessen Tragweite nicht ohne Wirkung auf die Ordensbrüder blieb. Peter von Dusburg mag sich in der Funktion gesehen haben, den alten Geist früherer erfolgreicher Kämpfe gegen die "Heiden" wieder wachzurufen und der Gefahr der Verweltlichung durch materiellen Reichtum entgegenzutreten.

Es ist sicherlich auch nicht von der Hand zu weisen, dass es dem Orden um seine Existenzberechtigung ging, denn je weniger Erfolge er gegen die "Heiden" zu verzeichnen hatte und lediglich ein Ordensleben in den eigenen Mauern führte, desto größer mußte die Bedrohung seines Weiterbestehens sein. Der Wille nach einer Existenzlegitimation mag auch soweit gegangen sein, den Papst und die weltliche Macht von der Richtigkeit des eigenen Wirkens überzeugen zu wollen, um letzlich Unterstützung in materieller und geistiger Hinsicht zu erzielen. Vielleicht stand sogar eben dies im Vordergrund, denn jegliche wegweisende Macht konzentrierte sich tatsächlich in den Händen des Papstes.

Es gibt sicherlich keine monokausale Erklärung für das Handeln Peter von Dusburgs. Bei der Fülle an Faktoren, die bei seiner Entscheidung mitgewirkt haben könnten und aufgrund fehlender Informationen, entsteht auch nach einer intensiven Analyse kein eindeutiges Bild. Der Versuch einer Bewertung bleibt zwar unbefriedigend, aber trotzdem nicht ohne erhellenden Charakter.

 

geschrieben von Devrim Karahasan, 2. Semester (1991)            Dieser wissenschaftliche Artikel wurde am 2. März 2015 aktualisiert.