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Ein Schwerpunkt meiner Arbeiten liegt auf der französischen Kolonialgeschichte in Neu-Frankreich und Kanada. In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit der Politik der sog. “Mischehen” beschäftigt und die Art und Weise, in der zumeist Indianerinnen und Franzosen in sexueller, ehelicher und familiärer Hinsicht Beziehungen zueinander aufgebaut haben, behandelt. Meine Arbeit hat die zahlreichen kanadischen, amerikanischen, französischen und italienischen Quellen und die breitangelegte Sekundärliteratur zusammengeführt zu einer Synthese über die ausgiebige Debatte zu métissage. Sie hatte vor allem die Entwicklung von der anfänglich positiven Haltung der Autoritäten in Kolonie und Metropole zu “Mischehen” bis hin zur ihrem Verbot zum Thema.

Die Verbote traten ein, sobald das gewünschte Ziel der Schaffung einer französischen Nation in Übersee nicht eintrat und statt dessen beobachtet wurde, dass die Franzosen den Lebensstil der Indianer übernahmen. Ich konnte zeigen, dass es keinen homogenen Diskurs über Mischung und “Metis”, die Nachkommen aus diesen Beziehungen und Ehen, gab. Vielmehr bestanden spezifische Machtkonstellationen innerhalb einer Ideologie, der es um den Aufbau der Kolonie ging und die von seiten der Verwaltung, der imperialen Aspirationen der Politiker und der Interessen und sexuellen sowie ehelichen Präferenzen der lokalen Akteure vor Ort geprägt wurden.

Als Ergebnis konnte ich festhalten, dass “Mischehen” - an sich schon ein fragwürdiger Begriff - nicht als Wert an sich angesehen wurden, sondern vor allem auf offizieller Ebene verstärkt gefördert wurden mit dem Ziel der Assimilation zur französischen Kultur und Lebensweise und der Konversion zur katholischen Religion. Die Eheleute, die verschiedenen Kulturen angehörten, waren verstärkt mit Feindschaft, Diskriminierung oder regelrechtem Verbot von seiten ihrer Nachbarn, der Missionare und der Kolonialbeamten konfrontiert. Während Frankreich "Mischehen" von den ersten Begegnungen mit den Huronen im Jahr 1633 an bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts hinein gefördert hatte, wurden sie ab 1706 zunehmend einer Verbotspraxis unterworfen. Die Argumente, die diese Politik stützen sollten, bezogen sich auf die angebliche schlechte Qualität des Blutes der Indianer, die Assimilation der Franzosen an die indianische Kultur und die verbreitete Libertinage (freie Liebe), Concubinage (Beziehungen zu einer oder mehrerer Geliebter) und Prostitution, die vor allem den Missionaren ein Dorn im Auge waren.

Binationale Ehen sind kein verstaubtes historisches Thema, sondern haben eine moderne Dimension bis weit in unsere heutige Zeit hinein. Menschen verschiedener Kulturen haben sich stets angenähert und in andere Kulturen hineingeheiratet. Dabei sind Lebensformen entstanden, die beide Seiten bereichert haben. Durch die gestiegene Mobilität und die zunehmende Globalisierung sind "Mischehen" heute viel selbstverständlicher als noch zur Zeit des Kardinal Richelieu. Daher bilden sie ein wichtiges soziologisches Thema, dessen Bedingungen und Ergebnisse nähere Beachtung durch Historiker und Sozialwissenschaftler verdienen. Indem Vergleichsstudien angestellt werden, können Einsichten gewonnen werden in die Funktionsweisen der Mischung in verschiedenen politischen und kulturellen Kontexten und in die Frage warum und unter welchen Bedingungen diese Ehen eingegangen oder verboten wurden. Die Begegnung zwischen lang etablierten Naturvölkern und neueren europäischen Konzepten von Nation, Rasse und Zivilisation hat sich als fruchtbares, zum Teil furchtbares Forschungsthema in der heutigen multikulturellen Realität erwiesen.

Die Reihe an Gesellschaften, die mit diesem Phänomen Bekanntschaft gemacht haben, ist lang und daher können nicht alle erschöpfend behandelt, sondern nur spezifische Einzelfälle herausgesucht werden. Ausgehend von der Annahme, dass die Migration von Völkern und die dazugehörige Haltung der zentralen Mächte und Reiche es uns erlaubt, die Funktionsweisen des Nationalismus, des Ethnozentrismus und des interkulturellen Austausches in der modernen Zeit zu verstehen, können sie uns auch Einsichten in die Grundlagen von Krieg und Frieden, Freundschaft und Feindschaft liefern. Indem man sich auf die Kolonialpolitik während der Frühen Neuzeit und die Phase der Dekolonisierung, die auf sie folgte, konzentriert, kann man die Probleme, Widersprüche und Doppeldeutigkeiten der Migration der Völker besser verstehen. Durch die Fokussierung auf Formen der politischen und wirtschaftlichen Dominanz (ein zentraler Aspekt kolonialer Eroberungen), lokalen Widerstand (früher der Subalternen oder heute der Terroristen und Extremisten), die Konfigurationen internationaler Eliten (d.h. interkultureller Netzwerke) und die multiethnischen Identitäten auf lokaler und imperialer Ebene kann komparative Geschichte auf hohem Niveau betrieben werden.

 

 

Zur Wissenschaftsgeschichte der “métissage” als Beitrag der Kulturwissenschaften zur Ordnungsbildung der Gesellschaft

 

Métissage” hatte eine wechselvolle Geschichte, die mit den Anfängen menschlicher Begegnungen beginnt. Dabei sind Wortanalysen, wie sie die Begriffsgeschichte betreibt, zentral, um die Entwicklung dieses Phänomens besser zu begreifen. Beginnen wir mit dem “Wissen” über métissage: Etymologisch gesehen leitet sich das Wort “Wissen” aus dem Althochdeutschen “Wissan” ab und bedeutet “gesehen haben”: Man muss etwas gesehen haben, um davon sprechen zu können. Es verweist somit zunächst auf die Beobachtbarkeit von Dingen und Phänomenen. Dem Wissen liegen also Informationen zugrunde und sie ist demnach behaltene, also konservierte oder gespeicherte Information. Damit steht sie in der Tradition der “episteme” im Gegensatz zur schlichten Meinung, die nicht auf gesicherten Erkenntnissen fußt. Wissen beansprucht Wahrheit und kann kaum durch Argumentation widerlegt werden. Doch auch sie ist der Manipulation unterworfen und daher ein recht zweischneidiges Schwert.

Die Produktion und Vermehrung von Wissen ist traditionsgemäß stets ein Privileg und eine Tätigkeit der Eliten gewesen. Während es in der Antike die ersten Philosophen waren, die über die Phänomene der Natur und des Kosmos und über das Wesen des Menschen sinnierten, bemühten sich im Mittelalter Mönche und schließlich Archivare, Bibliothekare und Historiker um die Konservierung und Analyse dieses Wissens. Zudem wurden Versuche unternommen, das Wissen zu klassifizieren und zu ordnen. So hat beispielsweise die Soziologie Theorien und Modelle über die historische Entwicklung des Menschen und der menschlichen Gesellschaft entwickelt und die Geschichtswissenschaft hat diese mit Einzeluntersuchungen näher zu beschreiben versucht.

Peter Weingart hat die Bedingungen und Charakteristika der heutigen Wissensproduktion benannt. Demnach hat die Universität als Institution ihr Monopol der Wissensproduktion eingebüßt. An die Stelle des Wissensmonopols der universitären Disziplinen trat eine Vernetzung aus Forschungszentren, Regierungsbehörden, Industrielaboratorien, Think-Tanks und Beratungsbüros, die ebenfalls maßgeblich an der Produktion von Wissen beteiligt sind. Im Gegensatz zu vergangenen Wissenproduktionen unterliegt die heutige nicht länger der Suche nach Naturgesetzen, sondern findet in konkreten Anwendungskontexten im Hinblick auf den Nutzen und auf den entsprechenden Klienten statt. Die Ergebnisse dieser Forschung werden nicht allein über institutionelle Kanäle kommuniziert, sondern über die am Forschungsprozess Beteiligten selbst. Zudem wird die Wissensproduktion gesellschaftlich rechenschaftspflichtig und reflexiv. Die Forschung steht damit unter veränderten Legitimationszwängen. Sie orientiert sich verstärkt an sozialen Werten und politischen Zielen sowie an den Medien.

Die Geschichte der Wissensproduktion in den Geisteswissenschaften und der Beitrag der kulturwissenschaftlichen Fächer zur gesellschaftlichen Ordnungsbildung anhand des Gegenstandes “métissage” ist ein fruchtbares Feld. Métissage wird hierbei verstanden als der frankophone Begriff für die Begegnung und Verschmelzung der Völker und der Menschen unterschiedlicher "Rasse" als fragwürdigem Begriff, und Religion und Kultur als dessen Grundlagen. Es zeigt sich, daß métissage in diversen Kontexten menschlicher Begegnung unterschiedlich dargestellt und beschrieben wurde und zu verschiedenen Klassifikationen geführt hat. In Neu-Frankreich entstand die Kategorie des “Métis” als Bezeichnung für sog. Mischlingskinder, die aus indianisch-europäischen Ehen und Beziehungen hervorgegangen waren. In Südafrika wurden die “Cape Coloureds” beschrieben, die ebenso "Mischlinge" bezeichneten, welche Nachkommen aus der Begegnung zwischen schwarzen Eingeborenen und weißen Kolonisten waren. In Nordamerika waren es im englischen Sprachgebrauch die “halfbreeds”, die man diskriminierend als Halbblut beschrieb, da man von der Kategorie des Blutes als Wertigkeit ausging und die Mischung von Blut im 18. und 19. Jahrhundert als Ausdruck von Degeneration deklariert hatte. Noch im 17. Jahrhundert war eben dies von Frankreich gewollt gewesen, um eine Nation in Übersee zu schaffen, die auf französischen und katholischen Werten beruhen und die indigene Bevölkerung durch "Mischehen" an jene assimilieren sollte.

Métissage” ist in verschiedenen kulturwissenschaftlichen Fächern unter unterschiedlichen Begrifflichkeiten behandelt worden: “hybridity” wird in den cultural studies bevorzugt verwendet, während auch die französischsprachigen Bezeichnungen “brassage”, “créolité” und “branchement” unter Anthropologen, Soziologen und Politologen zu finden sind. Die Studien erstrecken sich auf diverse geographische Räume: Afrika, Nord- und Südamerika und die Karibik sind die favorisierten Gegenden. Die ordnungsbildende Komponente kommt darin zum Ausdruck, dass nicht nur diese geographischen Räume nach einem Phänomen beschrieben werden, das sie maßgeblich charakterisiert, sondern auch darin, dass der Begriff selbst dazu dient, Menschen und Völker danach zu beschreiben, wie sie miteinander in Kontakt getreten sind. Es kann erkundet werden, wie "métissage" als Ordnungskategorie gebraucht wurde, um das Wissen um den Menschen und sein gesellschaftliches Werden zu werten, wie es aber auch als politisches Schlagwort und Instrument eingesetzt wurde, um koloniale Ziele durchzusetzen, die die gesellschaftliche Ordnung umwälzten und neu definierten.

Durch Studien zu métissage haben die kulturwissenschaftlichen Fächer maßgeblich dazu beigetragen, ein Wissen über Mensch und Gesellschaft zu erarbeiten, das anschaulich macht, wie Unterschiedlichkeiten und Wertigkeiten historisch gewachsen und bedingt sind und politisch instrumentalisiert worden sind. Dabei sind Kategorien entstanden, die die Ordnungsbildung der Gesellschaft zwar beförderten, jedoch auch ihre Rassialisierung zunehmend festschrieben. Mensch und Gesellschaft sind somit verstärkt unter der Kategorie “Rasse” gefaßt worden, die als leitendes Prinzip die Unterschiedlichkeiten unter den Menschen und ethnischen Gruppen erklären sollten. Métissage als rassischer bzw. rassistischer Begriff par excellence hat die Gesellschaft historisch eingeteilt in ihre ethnischen Komponenten und sich damit von einer monogenetischen Weltsicht, die von einem gemeinsamen Ursprung aller Menschen ausgeht, entfernt. Als Ordnungskategorie erfreut sie sich in den Kulturwissenschaften zunehmender Beliebtheit, da sowohl multikulturalistische als auch pluriethnische Perspektiven auf die Welt als ein Ort verschiedener Stämme, Gruppen, Ethnien und Nationen verstärkt herangezogen werden, um historisch entstandene Konflikte zu erklären.