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Macht als Spiel und Freiheit

 

Vorwort

Eine Neufassung meiner Gedanken über Macht, Spiel und Freiheit kann Vieles erfüllen: sie kann eine Erweiterung und Präzisierung von zuvor Gedachtem sein und neue Zusammenhänge bieten, aber auch eine andere Anordnung ermöglichen. Ich möchte Nathalie Schröder, Barbara Grebe, Katharina Eimermacher-Köksen, Elisabeth Brinkmann, Hartmut Lüling, Melanie Adelt, Manuel Rode und Sabine Breil danken, dass sie mich indirekt zu einer Neufassung inspiriert haben. Inzwischen ist fast ein ganzes Jahr, in dem sich vieles verändert hat, vergangen seit ich zuletzt über das, was die Soziologie über Macht zu sagen hat, nachgedacht habe. An der Feststellung, dass die Faktoren Macht und Gewalt eine sehr ausschlaggebende Rolle dabei spielen, wie Menschen direkt oder indirekt ihre Interaktionen gestalten, hat sich nicht viel geändert. Diese können sich auf Wirtschaftsverhandlungen, Arbeitsbeziehungen im Allgemeinen und auf das übrige gesellschaftliche Leben in familiären, Freundschafts- und Paarbeziehungen, Vereinen, Schulen, Parteien und Kirchen beziehen. In allen Bereichen, in denen Menschen zusammenkommen, können sie intentional (weil sie es als wichtig, sinnvoll, befriedigend oder schön empfinden) oder gezwungenermaßen bzw. ungewollt (Anpassungsdruck oder Manipulation vorausgesetzt) sozial oder unsozial aktiv werden.

Sowohl Macht als auch Gewalt prägen viele unserer Interaktionen dabei in manchmal unbewusster Weise und auch dort, wo sie ins Bewusstsein gelangen, können sie Auswirkungen auf einzelne Individuen oder ganze Kollektive haben. Zuletzt war das in größerem Stil bei den Terrorangriffen in Paris zu beobachten bzw. wahrzunehmen. Vielen drängte sich dabei der Eindruck auf, Gewalt und kriegerische Handlungen seien nun einmal wie eine anthropologische Konstante im Menschen angelegt. Dass dem nur bedingt so ist, und zwar durch historische, politische und vielleicht sogar am häufigsten religiöse, biologische und taktische Konditionierungen, Entwicklungen oder Strategien herbeigeführt, die dementsprechend auch überwunden oder wieder umgewandelt werden können, möchte diese Neufassung unter anderem zu zeigen versuchen. Dass der Mensch aber nun einmal das Ergebnis all dieser Faktoren und Einflüsse ist, bleibt unbestritten. Aber eben nicht bei jedem und allerorts greifen sie. Denn sobald Gewalt, Kampf oder Krieg einsetzen, hört die nachhaltige Intelligenz – diejenige Problemlösungskompetenz, der es in erster Linie um den Einsatz und die Wirkung des Verstands, vernünftiger Kombinationsgabe und der Empathie und kaum oder nicht um Kraft, körperliche Überlegenheit oder physische Stärke geht – auf. Die Gleichsetzung von Kraft und Stärke mit Intelligenz gelingt vermutlich nur dann, wenn es gleichzeitig darum geht, sich und andere in Sicherheit zu wiegen, indem das Ausmaß der Täuschung und des Kontrollverlustes verschwiegen wird. Stärke bleibt dabei ein Faktor, der präsent bleibt, jedoch häufig als falsch verstandene Form von Macht. Womit nicht gesagt sein soll, dass die Antwort in der Schwäche liegt.

Letztlich ist es meist dasselbe, ob man glaubt zu denken, zu fühlen, zu ahnen oder zu hoffen: dass der Mensch gemäß seinen Projektionen gestaltet und empfindet, ist vielen bewusst, und dass er dazu in der Lage ist, Entwicklungen umzukehren, die er begonnen hat, zeigt sich immer wieder, ob im trocken oder abstinent gewordenen Alkoholiker oder Raucher, in anderen mehr oder weniger „cleanen“ Drogensüchtigen oder im Rückzug von Armeen. Als historisch interessierte Wirtschaftssoziologin ahne ich durchaus, dass die „Idealtypen“ im Sinne Max Webers oft unverwirklicht bleiben und im Weltbild und Zeitalter dieses Wissenschaftlers dies ja auch tun sollten bzw. so gedacht waren. Aber das muss eben nur solange so sein, wie Wirtschaft und Politik und die Bürger ein Interesse daran haben, bessere, idealere oder perfektere Lösungen als viele der gegenwärtigen nicht zu favorisieren. Der Titel "Macht als Spiel und Freiheit" bleibt zwar vordergründig beim Spielerischen stehen, soll aber auch zum Ausdruck bringen, was dieses Buch erreichen möchte: so gelesen zu werden, dass der Spielraum und damit die positiven Gestaltungsmöglichkeiten den Einzelnen bewusster und in ihrer Vielfalt erkennbar werden. Die bisweilen anzutreffende Kompliziertheit, Öde und Unverständlichkeit von Wissenschaft, wenn sie allzu sehr im Theoretischen verhaftet bleibt oder ins Abgehobene abdriftet, zu umgehen, war mir beim Schreiben ein wichtiges Anliegen. Tatsächlich erhebe ich zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit, hoffe aber, dass ich im Dickicht der Gewaltszenarien, die uns so oft vor Augen geführt werden, nicht dazu beitrage, sie als naturgegeben oder unvermeidbar hinzunehmen. Denn genau das Gegenteil dessen war das Motiv beim Schreiben dieses Buches. Dass es im Kapitel über den "Mythos vom Drama der Liebe" neben einer Dekonstruktion auch um die freien Spielweisen der Macht versus die Not der Gewalt geht, erschliesst sich hoffentlich beim Lesen. Diese Anspielung, die vermutlich mehr als das ist, deutet auf unsere vielfältigen Handlungsmöglichkeiten als Gegenstrategie zur Gewalt und die Not, die sie auslöst und reproduziert, und ebenso auch darauf, dass Liebe im Leben der Menschen nie das Ergebnis von Drama, Kampf oder Intrige sein kann. Und es zeigt sich stets aufs Neue, dass Macht ohne Liebe nichts ist (wobei natürlich Liebe selbst schon eine Macht per se ist, da sie in allem ist, das wächst). Macht aber wächst nicht, sie verschiebt sich nur unaufhörlich. Letztlich kommt es stets auf die Qualität und nicht die Quantität der Handlungen und auch nicht auf die Entlarvung des Mythos an, die jedoch am Beginn jeder Reflexion stehen müsste.

Abschließend ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass ich nicht in Gefolgschaft einer oder mehrerer Personen, Institutionen oder Bewegungen schreibe. Mir wäre es am liebsten, wenn ich von Zeitgenossen gelesen würde, die über die Freiheit des Urteilsvermögens verfügen. Immanuel Kants Grundsatz, dass Menschen für ihre Unmündigkeit und ihre Handlungen oder deren Unterlassung entsprechend selbst verantwortlich und daher nur sie selbst diejenigen sind, die aus ihr und ihnen heraustreten können, halte ich für wahr und richtig. Auch wenn ein „ewiger Friede“ wie eine allzu ferne Utopie oder ein nichtverwirklichbares Ideal – gerade in den gegenwärtigen Zeiten – , eine religiöse Ruhestätte oder ein Hirngespinst von weltfremden Philosophen wirken mögen: was dieser Idealtyp lehrt, ist, dass der Mensch nicht dazu verurteilt ist, die Tragik seiner Existenz durch überzogene Gewalt und körperliche Aggression (denn gänzlich frei davon sind wir wohl nie) zu reproduzieren, sondern dass er Gegenmittel, nämlich die Vernunft, die Fähigkeit zur Selbst- und Nächstenliebe und die Phantasie in und aus sich heraus tragen kann. Ich hoffe, das mit diesem Buch in Teilen getan zu haben.

Gelsenkirchen im Februar 2016, Devrim Karahasan

 


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Mythos vom Drama der Liebe

3. Handeln und Macht

4. Alte versus neue Theorien

5. Legitimität und ihre Anwendungsebenen

6. Nachwort

7. Literaturangaben

 

 

 

Einleitung

 

Spieltheorie, Institutionenlehre und Gewaltmonopole scheinen vieles zu lehren: die Relativität der Perspektive und unsere Gestaltungsmacht entscheiden mit darüber, wie wir unser Zusammenleben empfinden, es formen und häufig auch modifizieren oder gänzlich aufgeben. Viele Theoretiker und Praktiker der Soziologie haben sich darum bemüht zu verstehen was Mensch und Gesellschaft ausmachen. Die einen haben dabei die Naturverbundenheit des Menschen betont, wie Philosophen eines Schlages von Jean-Jacques Rousseau, die anderen seine künstliche und technische Fähigkeit, die Welt zu gestalten, zu verändern und sie sich letztlich zu unterwerfen. Sich die Erde untertan zu machen, war von jeher das Gebot der Stunde, das jetzt allmählich zur Vergangenheit zu werden scheint. Wobei im Endeffekt eher die Unterwerfung des Menschen unter die Technik steht, was schon Franz Kafka in seiner „Strafkolonie“ und vor und nach ihm viele andere Schriftsteller dargestellt haben. Als Voltaire begann, sich lieber seinem Garten zu widmen, als Politik durch Dramen, Romane und Briefe zu beeinflussen, tat er das vermutlich nicht aus Resignation vor der Macht, sondern weil Ästhetik und Praxis eine viel größere Kraft auszuüben imstande sind. Keine der beiden Gruppen, weder Naturphilosophen noch KI-Anhänger (künstliche Intelligenz), scheint komplett falsch zu liegen mit dem Anliegen, die Welt nach ihrem eigenen Eben- oder Wunschbild gestalten zu können, und so kann auch keine den Anspruch darauf erheben, die letztgültige alleinige Wahrheit zu vertreten, so wie es eine solche ohnehin kaum geben kann. Über richtig und falsch entscheidet dennoch immer das historische, individuelle und mathematische Ergebnis: so ist es wohl wahr, dass eins und eins falsch zusammengezählt wurden, als man dachte, die technische Revolution habe vorwiegend oder ausschließlich zur Befreiung, Erhöhung oder Erleichterung für den Menschen geführt.

Ausgehend von klassischen Organisations- und Institutionenlehren bzw. -theorien möchte ich mich daher in diesem Buch mit dem, was Michel Crozier und Erhard Friedberg einerseits und William Richard Scott andererseits formuliert haben, so beschäftigen, dass dabei ein neuer Ansatz in der Wirtschaftssoziologie entsteht. Dieser stellt Gewalt auf eine Weise in Frage, dass ihr kurzfristig die Produktivität der Macht als Handlungsweise entgegengestellt werden kann.

Crozier/Friedberg ging es Ende der 1970er Jahre darum, nicht mehr nur Rationalität als Erklärungsprinzip heranzuziehen, sondern sie stellten die Kategorie der Macht ganz zentral in den Fokus ihrer Arbeit. Wobei mein Einwand hier wäre, dass man Macht ohnehin als rationale Kategorie werten könnte (was die Autoren in gewisser Weise tun), selbst wenn sie irrational begründet sein oder ebensolche Auswirkungen haben kann. Wenn man bei der Bedeutung von „ratio“ als Vernunft bleibt, kann es ein Gebot eben dieser Vernunft sein, Macht auszuüben, um entweder sich selbst oder den eigenen Status zu erhalten, um Schaden von sich und/oder anderen abwenden zu helfen oder um ein Gefühl zu befriedigen, ohne welches man sich ohnmächtig (als das Gegenteil von „mächtig“) fühlen würde. In diesem Sinne tut Angela Merkel als derzeit mächtigste Frau der Welt, vermutlich noch vor oder gleich nach Queen Elisabeth II. von England, in der Eurokrise zwar nicht notwendigerweise das Richtige, doch letztlich geht es ihr, wie fast jedem ihrer Berufskollegen vermutlich neben dem Gestaltungsspielraum, der Eitelkeit und dem Ruhm auch um den Erhalt der Macht, die diese eben mit sich bringen. Dadurch trägt sie dazu bei, dass der Status quo möglichst bestehen bleibt (wobei er längst im Umbruch begriffen ist und historisch gesehen dies ja auch stets war), und dadurch entsteht der Eindruck, sie erfülle Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen bestimmter Kreise eben mit dem Ziel des Erhalts des Ganzen.

Der französische Philosoph, Theoretiker und Historiker Michel Foucault und einige seiner Kollegen haben eindrucksvoll nachgewiesen, dass Macht nie beständig und auch nicht exklusiv ist. Sie hat weder ein einzelnes Zentrum (zum Beispiel im Staatsapparat, wo die meisten Staatsbürger Macht vermutlich am ehesten verorten würden), noch besteht sie nur für sich oder durchzieht das soziale Gefüge als Ganzes. Im Sinne Foucaults könnte man daher sagen, dass es keinen Staat, sondern lediglich eine „Durchstaatlichung“ gibt.[1] Auch ein Atomkern ist oder hat bekanntlich kein Zentrum der Macht oder der Wirkung, sondern es sind dabei verschiedene Kräfte, die es beständig zu verändern versuchen und dies zeitweilig auch immer wieder erreichen, in mehr oder weniger wirrem Wechselspiel.

Macht kann also in einzelnen wirtschaftlichen Beziehungen ebenso gegenwärtig sein wie beispielsweise auch in vermeintlich rein sozialen, politischen oder religiösen Verbänden wie Familien, Sport- und andere Vereine, Praxen und Krankenhäuser, Kirchen und Sekten, Schulen, Internate und Universitäten, Gefängnisse und Heime oder Gewerkschaften und Parteien. Letztlich sind alle unsere Interaktionen sozial und wirtschaftlich zugleich, und auf ihnen fußt jedes Gemeinwesen, jede Gesellschaft und jede Volkswirtschaft (was alles drei dasselbe sein kann), die allesamt Macht zum Beispiel in Form von Entscheidungsgewalt beanspruchen, ausüben und in sich und auf sich wirken lassen. Dass diese Organisationen bzw. Institutionen aus religiösen Dogmen und Vorstellungen hervorgegangen sind, machen sich häufig nur die Religiösen oder Gläubigen unter den Gesellschaftsmitgliedern klar bzw. jene, denen theologische Grundlagen und historische Entwicklungen bewusst sind. Macht stand am Beginn fast jeder erdenklichen menschlichen Institution. Sie wurde legitimiert durch die sogenannte Gottesgnade oder wurde meist auch in anderer symbolischer Form an Kirchenvertreter oder weltliche Herrscher verliehen, um ihnen damit die Befähigung, ein Amt ausführen zu können, zu geben. Letztlich waren dabei nie Fähigkeit oder Talent per se ausschlaggebend und schon gar nicht die Legitimität (auch wenn diese manchen eher eigen zu sein scheint als anderen), sondern der Machterhalt und die Machtausübung mit dem Ziel, Gesellschaften, Menschen und ihre Welt zu lenken, zu gestalten und zu führen.

Michel Foucault war es wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass die Macht nicht notwendigerweise als Unterdrückung wirken muss, wie es in vielen älteren Studien vertreten wurde. Vielmehr konstituiert und bestimmt sie eher unsere Verhaltens- und Produktionsweisen in konstruktiver Art und Weise. Ganz ohne Macht scheint es gar nicht zu gehen. In dieser Sichtweise ist es nicht die Macht selbst, die naturgegeben einengend ist, sondern es sind die Interpretation und die Machtverhältnisse, die den Freiheitsraum der Individuen eingrenzen, strukturieren und somit individuell oder kollektiv gestaltet werden können. Und wie so oft ist es dabei unsere Deutung der Situation statt die Situation selbst, die unser Handeln bewirkt. Doch auch die Situation selbst kann bereits ohne ihre Interpretation Handlungen hervorrufen: bei einem Hausbrand oder Autounfall wird nicht lange überlegt, sondern meist reflexartig reagiert, wobei die davorgelagerte Interpretation eventuell nur einfach so rasant schnell erfolgt ist, dass sie einem gar nicht bewusst wird. Dabei ist es eher das Handeln als das Selbst der Individuen, auf das Macht einwirkt. Doch dadurch kann sie das Selbst letztlich auch gestalten und verändern, wenn man sich dessen nicht gewahr wird und etwa einlenkt.[2]

 

Crozier/Friedberg unternehmen in ihrem Buch den Versuch, das Feld möglicher Handlungen der Beteiligten im Voraus festzulegen und zu bestimmen, d. h zu prädeterminieren. Mein zweiter Einwand wäre (der erste bezog sich auf die Rationalität der Macht, wenn sie der Vernunft dient), dass wenn Macht positiv verstanden werden soll, ja gerade der Freiheitsspielraum betont werden und damit eben gerade keine Vorhersehbarkeit und Planbarkeit (wobei allerdings manchmal auch gerade diese zur Freiheit gehören) oder Festlegung möglich oder notwendig sein sollte.

Richtig ist jedoch, dass Macht wie bereits erwähnt oft genug ein Handeln auf Handlungen anderer ist.[3] Somit ist Macht zu unterscheiden von Gewalt, die destruktiv wirken kann, wie es anschaulich zu beobachten ist in den immer wiederkehrenden Nachrichten über Terroristen, Amokläufer und andere Gewalttäter, die in ziemlicher Regelmäßigkeit weltweit die Menschen und Gesellschaften erschüttern.[4] Dass solchen Tätern das Glück abhandengekommen ist bzw. sie glauben in diesen Handlungen genau läge ihr Glück und das der anderen, ist die Tragik dieser Menschen und der ihren Taten innewohnenden Eigenlogik, von denen sich jeder gesunde Menschenverstand zurecht distanziert. Der Konkurrenzdruck, der aus dem Kampf solcher Terroristen um neue Gläubige im politischen und religiösem Sinne entsteht, pervertiert dabei die von vielen religiösen und politischen Sekten vordergründig doch so vehement vertretene Idee des Friedens, der Liebe und des Miteinanders auf eklatante Weise. Somit trägt er dazu bei, dass viele denkende, fühlende und kritisch veranlagte Menschen Kirchen, Gemeinden oder Parteien genau aus diesen Gründen den Rücken zukehren (wollen) oder zumindest nicht aus innig empfundener Zugehörigkeit oder Überzeugung in ihnen handeln oder wirken. Die Abgrenzung von den Verursachern, die sie für solche Taten verantwortlich halten, hilft dabei, den Kreis tatsächlich klein zu halten.

 

Der Fortbestand menschlicher Gesellschaften scheint in diesem eine Eigendynamik entwickelnden Konkurrenzdruck nur noch unter den Prämissen, die von den Kirchen und Parteien vorgegeben werden, denkbar und möglich. Womit nicht gesagt ist, dass diese darin recht haben, wenn sie sagen, dass nur durch religiöse oder politische Zugehörigkeit ein solcher Fortbestand garantiert sei. Ganz im Gegenteil: Fortbestand und Weiterentwicklung menschlicher bzw. humaner Gesellschaften werden durch diese mehr und mehr in Frage gestellt. Dass in diesem Sinne der jesuitisch geprägte Papst Franziskus bei einer seiner Reisen nochmals in guter kirchlicher Tradition auch im Sinne Mutter Theresas wiederholt hat, Empfängnisverhütung verbieten zu wollen[5], deutet zum Beispiel auf die Fortsetzung einer katholischen Politik, die Armut fördert statt sie beheben zu helfen. Auf die Frage eines philippinischen Mädchens unter Tränen, warum Gott es zulasse, dass Kinder auf der Straße endeten, reagierte Jorge Maria mit der Antwort, dass wir nur durch Tränen zu Mitgefühl fähig seien. Warum aber sollten das der Verstand oder die Vernunft nicht besser können?[6] Die mangelnde Logik erschließt sich hier vor allem dadurch, dass ja das von Armut betroffene Mädchen selbst weinte und nicht etwa ein Beobachter. Falls Franziskus hier auf die Fähigkeit zum Selbstmitleid des Menschen anspielen wollte, so stellt sich die Frage, inwiefern diese eine sinnvolle Handlungsmotivation hervorbringen kann. Das Verharren in Selbstmitleid oder Mitleid, von dem sich Mitgefühl abgrenzen lässt, ist ja gerade oft das entscheidende Problem bei der Initiierung produktiver Veränderungen im Selbst und im Umfeld. Dass so viele Religionsvertreter stets damit werben, die Menschen mögen Jesus oder Mohammed folgen, denn dann fänden sie ihr Heil, Segen und das Gute, entbehrt nicht einer gewissen Eigenlogik. Dieser scheint es auch darum zu gehen, den Menschen zunächst einzureden, sie seien von Grund auf oder von ihrer Natur her böse. Einerseits vergewissern sich Religions- und Kirchenvertreter so ihrer eigenen Existenzberechtigung (wobei Selbstvergewisserung im Allgemeinen zunächst durchaus eine sinnvolle Sache ist), andererseits bleibt gewährleistet, dass sich die Gläubigen vom Gut-Böse-Schema, von Vorschriften und von Ideen wie der vom Teufel lenken und einschüchtern lassen. Falls diese Ideen jedoch nicht adäquat in die eigene Persönlichkeit integriert werden, entstehen Fehlhaltungen, die oft jeder Vernunft zu entbehren scheinen. Dass es richtig ist, zwischen "gut" und "böse" unterscheiden können zu müssen, soll hier nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr geht es darum, dass Muster und Schemata erkannt werden, die vorgegeben und dabei selten intensiv genug hinterfragt werden. Wenn diese kirchlich geprägten Ideen große Macht über die Menschen ausüben, tragen sie gerade nicht zu ihrer Freiheit bei. Dass man durch blinde oder kritiklose Gefolgschaft anderer keine sinnvolle Handlungsweise für einen selbst erreichen kann, wird auch daran deutlich, dass "gut" und "böse" sowohl relative Begriffe sind als auch gewissen Notwendigkeiten folgen können. Sie bedürfen wiederum der eigenen Interpretation für das eigene Leben und Handeln, damit sie für einen selbst Sinn ergeben. Solange dies nicht geschieht, lassen sich die Menschen dann eher nur von der Macht der Ideen faszinieren, statt notwendigerweise zu erkennen, welche Verhaltensweisen sinnvollerweise aus ihnen folgen sollten.

 

Gewalt setzt nicht immer voraus, dass es bereits zu einer Handlung des Gegenübers gekommen ist. Sie kann vollkommen überraschend und grundlos einsetzen, ja es muss noch nicht einmal zu einer Provokation der Gegenseite gekommen sein (wobei Amokläufer wie beispielsweise Anders Breivik, der Attentäter von Winnenden und viele andere ähnlich gelagerte Täter jedoch vermutlich aufgrund einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung schon kleinste verbale Äußerungen als Verletzung ihres Weltbildes und daher als provozierend empfinden). Auch Selbstmörder reagieren nicht immer auf einen ausbleibenden äußeren Reiz, sondern empfinden zum Beispiel die Idee des Todes eventuell einfach per se als befreiend. In Kriegen hingegen wird oft durch effektive Propaganda behauptet, der Gegner habe die zum Krieg im Grunde ohnehin schon bereite Partei gereizt, durch eine vorausgehende Tat herausgefordert oder die Gefolgschaft verweigert. Dabei sucht die ausführende Kriegspartei ihrerseits für ihre Absicht, den Gegner zu überfallen, eine Rechtfertigung (im Grunde in allen Kriegshandlungen, beispielsweise im Syrienkrieg, im Ukrainekrieg, aber auch in den Golfkriegen beim Überfall der USA auf den Irak, von Angriffen in Kurdengebiete seitens des türkischen und anderer Staaten und umgekehrt, während des Jugoslawienkrieges, des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs mit dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen, des Armenier-Genozids während des Ersten Weltkriegs und seit spätestens dem 16. Jahrhundert in Überfällen europäischer Kolonialmächte auf indianische Stämme in Nordamerika bzw. der Indianer[7] auf Angehörige eben dieser Kolonialmächte, in Kriegen im Mittelalter und der Antike ebenfalls, etc.). Von Adolf Hitler und Josef Stalin beispielsweise ist bekannt, dass sie als Kinder viel Gewalt durch ihre Väter in Form von Prügel erleben mussten, und dass ersterer als Frontsoldat gedient hatte. Durchaus nicht jeder, der Mangel an Liebe, Zuwendung und Anerkennung, ja geradezu das Gegenteil, nämlich körperliche „Züchtigung“ und Schläge oder Verwahrlosung erfahren hat, wird dadurch oder deshalb zum Mörder oder Massenmörder bzw. Verursacher von derlei Gewalt. Es darf jedoch festgestellt werden, dass in Hitlers und Stalins Fall diese Erfahrung verheerende Auswirkungen auf ganze Kollektive, eben Deutschland und Russland, und mit ihnen in vielen anderen Ländern gehabt hat. Wenn also Menschen, die Gewalt am eigenen Leib erfahren haben, an politische Macht gelangen, führt das ganz offensichtlich zu institutionalisierter Gewalt wie sie in Konzentrationslagern, Gulags, Straflagern, Polizeistationen und Folterkammern in vielen Ländern an der Tagesordnung war und vielerorts ja auch immer noch ist. Es erscheint vor diesem Hintergrund wohl ziemlich verharmlosend, hier die Interaktionen von Menschen vorrangig oder nur als ein „Spiel“ zu betrachten, wobei manche genau dieser Illusion erliegen. Diese Beispiele machen deutlich, dass eher Projektionen wirken, die in diesen Fällen andere zu Sündenböcken, die dann umso mehr diskriminiert werden, für die eigene verlorene Kindheit oder die Verfehlungen des Umfeldes machen. Dass diejenigen, denen diese Projektionen lange genug unbewusst bleiben, das Gefühl haben mögen, sie nähmen „nur“ an einem (Macht-)Spiel teil und damit einem Wahn verfallen, ist oft die Folge eben jener falschen Einschätzung, aufgrund derer es auch zu Übersprungshandlungen, Verdrängungen und Übertreibungen kommt. Und oft genug gibt es auch Gewalttäter, die ganz unabhängig von stattfindenden Kriegen, der allgemeinen oder persönlichen Idee von der Befreiung durch den Tod (der in Liebesdramen oft auch als Überhöhung empfunden die gemeinsame Vereinigung in der Tragik und im Drama durch gegenseitige Opferung symbolisieren soll) oder von kirchlichen bzw. religiösen Glaubenssätzen zur Gewalt schreiten: der Ehemann, der seine Ehefrau aus Eifersucht erschlägt oder weil er sich für ihre Untreue rächen will, handelt eventuell im Affekt und aus eitler Verletzung seines Selbstwertes als Liebhaber, der Anspruch auf Besitz des Gegenübers erhoben hatte. Doch auch hier können unbewusst bleibende religiöse Gefühle und Muster mit im Spiel sein, die sich in langen Jahren der Sozialisation aufgebaut haben mögen und die Vernunft ausgehebelt haben.

Experimente von Wissenschaftlern, die „ganz normalen“ Menschen Horoskope von Massenmördern vorgelegt hatten, mit denen sich erstere durchaus identifizieren konnten, ohne zu wissen oder zu merken, dass es Sternendeutungen über Schwerverbrecher waren, zeigt, dass die Bereitschaft zur Gewalt tatsächlich in jedem von uns theoretisch angelegt sein kann. Zur Tat zu schreiten sind jedoch die meisten zum Glück nicht bereit. Und das wiederum verdeutlicht, dass man Stanford- bzw. Milgram-Experimente u. a. zwar immer wieder heranziehen kann, um zu zeigen, dass Menschen „plötzlich“ ungeahnte Brutalität an den Tag legen können, wenn man sie dazu auffordert oder in Befehlsstrukturen agieren lässt. Aber letztlich sind das immer Strukturen, die geschaffen werden, und keine, in denen sich der Mensch also per se schon befindet. Bei Ergebnissen, die durch Manipulation bzw. im Labor entstanden sind, ist stets mit zu berücksichtigen, dass sie durch eine eben solche bzw. in einem solchen Umfeld zustande kamen. Auch die Notwendigkeit eines militärischen Drills und effektiver Propaganda verdeutlicht das anschaulich, denn ohne sie könnte man Menschen kaum zum Kämpfen oder Töten bewegen. Es erscheint Vielen angesichts des Zustands der Gesellschaften, der Welt und der geschichtlichen und mancher individuellen Verläufe in ihnen naiv und schwer nachvollziehbar, dass man tatsächlich davon ausgehen kann, dass Menschen vorwiegend friedfertig und sozial veranlagt sind. Auch Macht üben manche gerne und oft so aus, dass sie nicht notwendigerweise zweckgebunden oder zielgerichtet sein muss. Im Gegensatz zur Macht jedoch entsetzt, entmutigt, zwingt, beugt, bricht, zersetzt und/oder zerrüttet die Gewalt das Gegenüber und kann schlimmstenfalls zu Passivität oder gar zu Tod, Vernichtung und teilweiser oder kompletter Zerstörung führen. Indirekt kann das die Macht auch, allerdings ist das nicht ihr primäres Ziel. Ihr geht es vielmehr um die Erhaltung, Stärkung oder Expansion des eigenen Status quo und sie ermöglicht in der Regel die Fortsetzung der Interaktion. Insoweit ist sie sogar produktiv. Gewalt ist unumkehrbar, die Macht ist es nicht.

Wenn die deutsche Verfassung verkündet „alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, so ist das Unumkehrbare daran, dass sie tatsächlich nur exklusiv vom Volk, und zwar von ihm in legitimer Weise, ausgeführt werden kann. Die Gewalt des Staates bezieht sich hingegen beispielsweise auf die ihr vom Volk zeitweise immer wieder verliehene Gewaltenteilung in Form der Legislative, Exekutive und Judikative. In beiden Fällen klingt es zunächst so, als seien sowohl Volk als auch Staat vollkommen frei von körperlicher Aggression, indem die Gewaltenteilung darauf abzielen soll, dass ihr möglichst entgegengewirkt werden möge, um einen Zustand des friedlichen Zusammenlebens gewährleisten zu können. Dass der Staat aber gewalttätig ist und somit auch seine Bürger, zeigt er darin, dass in seinem Namen Kriege geführt werden, aber zunächst auch ganz schlicht dadurch, dass er Maßregeln überhaupt erst setzen muss. In revolutionären Umwälzungen hingegen, die wiederum in der Regel vom Volk ausgehen, aber auch von Regierungen, Staaten und ihren Geheimdiensten gesteuert werden (können), wird genau diese verfassungsrechtlich legitimierte Gewalt in Frage gestellt. Jede Gewalt, die von einzelnen Bürgern ausgeht, beispielsweise in Mordfällen oder im Zuge von Streiks, während Demonstrationen oder eben in Revolutionen, die der Wortbedeutung nach stets unblutig waren, da sie zunächst die Sternenumdrehung meinten bevor sie Eingang in den technischen Sprachgebrauch durch die Erfindung des Revolvers fanden, wird in der Regel stets geahndet. Inzwischen ist das in vielen Ländern auch dann der Fall, sobald Staatsbedienstete wie beispielsweise Polizisten zum Mittel der als unverhältnismäßig oder illegitim eingestuften Gewalt greifen. Und Polizisten wiederum, die zunehmend selbst Opfer von Gewalt werden, wenden sich an Hilfsorganisationen, so wie zivile Bürger als Opfer von Kriminalität dies lange ohnehin konnten, auch wenn Wirksamkeit, Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit wie so oft auf einem anderen Blatt stehen. Zu unterscheiden wäre hier meiner Ansicht nach zwischen Schuldhaftigkeit und Schuldfähigkeit, wobei ich viele Menschen zu letzterer selten, kaum oder gar nicht imstande halte. Schuldhaft ist der Mensch per se vermutlich immer, schuldfähig sind nur die wenigsten.

In Crozier/Friedbergs Ansatz wird eine Organisation nicht länger als System, sondern als Kollektiv handelnder Individuen angesehen. Die Autoren gehen davon aus, dass Systeme keine Verhaltensregeln definieren, sondern Spiele mit bestimmten Regeln. Das Verhalten unterliegt also Spielregeln und nicht umgekehrt das Spiel bestimmten Verhaltensregeln. Diese legen eine Anzahl von Gewinnchancen fest, unter denen die Akteure ihre eigenen auswählen, indem sie strategisch vorgehen. Insofern herrscht lediglich ein indirekter Zwang, der für die Fortsetzung des Spiels, also letztlich für den Fortbestand der Organisation, in der sie agieren, unerlässlich ist. Dieser Ansatz stellt nicht mehr die Organisation als solche, sondern das organisierte Handeln der Akteure selbst in den Mittelpunkt der Analyse. Auch stellt nicht die Frage nach der Motivation der Mitglieder den zentralen Erkenntnisgegenstand dar, sondern vielmehr die Frage wie Zusammenarbeit überhaupt möglich ist und hergestellt wird. In dieser Sicht auf Organisation hat auch die Behandlung von Störungen und Abweichungen ihren Platz, es werden also auch Widerstand, kontraintuitive Effekte, Veränderungen, Wandel, Verschleierung, Verdrängung und ähnliches thematisiert. Motivation allein würde wohl lediglich erklären, was die Akteure zur Kooperation und zur Teilnahme am Spiel treibt. Logischerweise ist es dann also die Beziehung zwischen Akteur und System und damit auch zwischen Freiheit und Zwang, die von besonderem Interesse ist. Dabei ist davon auszugehen, dass der Akteur größtmögliche Freiheit anstrebt, während das System weitgehend Zwang ausübt.[8] Aber auch dies könnte aus relativer Perspektive in Frage gestellt werden: so wie manche Menschen mit größtmöglicher (positiv verstandener innerer und äußerer) Freiheit eventuell nichts anzufangen wüssten oder diese nicht als Wert an sich oder als erstrebenswertes Ziel ansähen, so könnte man sich ebenso auch ein System vorstellen, dem es gar nicht in erster Linie um Zwang und Anpassung geht. Wenn zum Beispiel Verbundenheit und Zusammenhalt (was wiederum manche gleichsetzen würden mit Zwang und Anpassung) im Vordergrund stünden, wäre das System von vornherein viel positiver gestaltet. Immerhin bedeutet „System“ aus dem Altgriechischen abgeleitet nichts Anderes als ein „Gebilde“. Von daher wäre es denkbar, dass es um das Zusammenfügen bzw. Bilden verschiedener Bestandteile zu einem Ganzen geht. Ob das ausschließlich über den Weg des Zwangs oder der Anpassung sein muss, wäre eine Frage, die eventuell etwas über die Grenzen menschlicher Phantasie, Erfahrung oder Wortwahl auszusagen vermag.

 

Zusammenhalt und Zusammenstehen ist beispielsweise in Armeen von Wichtigkeit und ist damit dem Zwang und der Anpassung tatsächlich unterworfen. Der militärische Bedeutungsinhalt vieler Schlagworte wie „Gewehr bei Fuß“, „strammstehen“ oder das Französische „en garde“ (dt.: „Achtung“ – wobei im Deutschen durchaus die Doppelbedeutung von „Respekt“, was ja auch mit Feigheit, Angst oder/und (Ehr)Furcht korrelieren kann, und „Vorsicht“ hier interessant ist) deutet darauf hin, dass Menschen, Institutionen, Stämme und Reiche aus Angst vor Untergang oder aus Sorge um ihren Fortbestand dem Kollektivismus, eben in diesem Fall in Form von Militär und Armeen, stets vor dem Individualismus den Vorzug gaben. Das gilt für das Babylonische, Ägyptische, Römische, Hellenische, Persische und Byzantinische/Osmanische Reich genauso wie später für das British Empire, das Deutsche Reich, Russland, Frankreich, die USA und andere imperialistisch bzw. imperial agierende Mächte. Die Imperien schlagen oft schon immer dann zurück, wenn andere nur mit den Muskeln spielen. Das Muskelspiel wird dann rasant schnell ernste Strategie und kann ganze Reiche dem Untergang weihen, was historisch gesehen auch immer wieder geschehen ist. Neue Zusammensetzungen, die jedes Mal folgen, bieten dann aber genau den Spielraum für die Veränderungen, die Fortschritt erst möglich machen. Doch der Kollektivismus-Gedanke, der ja auch in vielen Naturvölkern eine große Rolle spielt, hat einen Anpassungsdruck hervorgebracht, der eben die Sorge des Untergangs zu bestätigen scheint. Nicht anders verhielt es sich in kommunistischen oder sozialistischen Kollektiven und Systemen wie der ehemaligen Sowjetunion, Nordkorea, Syrien, Libyen, Kuba oder China. Auch Individualismus (den es in „Reinform“ ja ebenso wenig gibt wie sein Gegenteil) könnte man ähnliches vorhalten, denn auch diesem mangelt es an Tragfähigkeit für das menschliche Zusammenleben. Wie so oft sind es die Mischformen, die Überleben und Leben garantieren, ohne hier der Reinheit jegliche Existenzberechtigung abzusprechen, denn schließlich gibt es auch genügend „reine“ Formen in der Natur bzw. der Umwelt, seltene und hochwertige Edelsteine und Metalle zum Beispiel in Form von Diamanten oder Gold. Für menschliche Gesellschaften nur gilt diese „Reinheit“, so sehr sie von manchen Ideologen auch beschworen werden mag, eben nie. Genauso wie jede Sprache eine Mischform aus vielen anderen Sprachen ist, so sind es auch die sie nutzenden Menschen, wenn man ihre Abstammung nur lange genug zurückverfolgt.

 

Für die Analyse der Probleme der Organisationssoziologie führen Crozier/Friedberg neben dem Begriff der „Macht“ die Begriffe „Strategie“ und „Spiel“ ein. Erweitern würde ich das noch um den Begriff „Einfluss“, denn dass es in vielen Fällen letztlich genau darum geht, dürfte unstrittig sein. Bei der Analyse stellt sich heraus, dass es sich bei Spielen aufgrund ihrer „Ungewissheitszonen“ immer um Machtbeziehungen handelt. Letztlich stellt sich in diesem Ansatz jede Struktur kollektiven Handelns als Machtsystem dar und Organisationen als die provisorischen Kodifizierungen von Spielregeln, die sich durchgesetzt und (vermeintlich) bewährt haben. Hätten Spiele und ihr Ausgang keine „Ungewissheitszonen“, sondern wären vorhersehbar, -sagbar und im Voraus planbar, wären sie keine Spiele, sondern feste Programme oder eben durchdachte Pläne. Der Spielcharakter offenbart sich im gegenseitigen Austausch von unbewussten, spontanen bis hin zu teilweise reflektierten Entscheidungen im Verlauf von einzelnen Spielzügen. Es sollte betont werden, dass es sich bei dem von Crozier/Friedberg vorgeschlagenen Ansatz nicht um eine neue Organisationstheorie als solche, sondern um eine bis dato neuartige, vor allem sich durch Dialektik auszeichnende Sichtweise auf Grundfragen der Organisationssoziologie handelt. Dialektik hier zwar auch im Sinne von These, Antithese und Synthese, aber vor allem als Dualität, die gleichzeitig die Zweiteilung bzw. Doppelbedeutung vieler Emotionen und Phänomene und auch stets Kehrseiten der Medaille zu sehen vermag. Sie beinhaltet gleichzeitig eine Bürokratiekritik. Die Vorstellung wendet sich gegen die Idee eines autonom und rational Entscheidenden und auch gegen die totale Determinierung durch das „System“. Dialektisch ist das Vorgehen insoweit, als dass strategisches und systemisches Denken so verknüpft werden, dass sowohl die Erfahrungen der Akteure als auch das System selbst in die Analyse einbezogen sind. Crozier/Friedbergs Absicht, Einseitigkeiten in den älteren Theorien wie des methodologischen Individualismus´, des reinen Interaktionismus´ und der Systemtheorie älterer Provenienz zu überwinden, gelingt somit.[9] Dies wird ihnen auch von den Befürwortern ihres Ansatzes zugutegehalten. Tatsächlich war die Systemtheorie vor Niklas Luhmann, also in der Form wie sie Talcott Parsons noch formuliert hatte, weitaus statischer und viel weniger spielfreudig. Methodologischer Individualismus und Interaktionismus konnten hingegen bestehende Freiheit und ihre Spielräume nicht hinreichend erklären bzw. betonen. Somit kommt Crozier/Friedberg das Verdienst zu, die soziologische Theorie der Interaktion weiterentwickelt und unter neuartigen Gesichtspunkten tiefergehend betrachtet zu haben. Damit hat auch die Organisationstheorie insgesamt bedeutend an Komplexität gewonnen.

 

In Bezug auf die Institutionenlehre lässt sich festhalten, dass innerhalb verschiedener akademischer Disziplinen das Phänomen „Institution“ sehr vielschichtig behandelt wird. Der lateinische Ursprung aus dem Verb „instituere“ bedeutet “einrichten, unterrichten, anfangen“. Somit deutet das Wort „Institution“ (in Anlehnung daran auch „Institut“) darauf hin, dass in entsprechenden Einrichtungen etwas unterrichtet oder angefangen wird, wie beispielsweise die Erziehung in der Schule. Initiationsriten der Naturvölker erfüllen hier eine ganz ähnliche Funktion. Heute hat der Begriff „Institution“ jedoch einen weitaus breiteren Bedeutungsgehalt erlangt und bezieht sich auf jegliche gesellschaftlich relevante Einrichtung. Unter Wissenschaftlern besteht Uneinigkeit darüber, wie sie zu definieren ist. Demgemäß gehen Ökonomen, Politologen und Soziologen jeweils von verschiedenen Funktionsweisen aus. William Richard Scott versuchte die soziologische Variante des „New Institutionalism“ zu erklären, indem er (1) die Aufmerksamkeit vom normativen zum kognitiven Modell lenkte und (2) statt einer sozialrealistischen Perspektive eine sozialkonstruktivistische einnahm. Während der normative Blickwinkel die sozialen Verpflichtungen als Basis für Einverständnis betont, kommt es dem kognitiven auf die konstruierte Eigenart von Situationen und sozialen Identitäten an. Der „New Institutionalism“ unterscheidet sich von vorhergehenden Ansätzen also vor allem darin, dass er den konzeptionellen Fokus verschiebt sowie von neuen ontologischen Annahmen ausgeht, die zunächst der Form nach zu einer neuen Betrachtungsweise führen. Zentrales Merkmal dieses Ansatzes bleibt der Fokus auf die kognitive Dimension.

Das kognitive Paradigma geht davon aus, dass Handlungen vorrangig als Funktion der inneren Vorstellungen des Handelnden von seiner Umwelt zu verstehen sind. Symbole (Worte, Zeichen und Gesten[10]) formen Bedeutungen, die wir Objekten oder Aktivitäten zuschreiben. Bedeutungen entstehen in Interaktionen und werden erhalten und transformiert, indem sie stetig und wiederholt eingesetzt werden.[11] Institutionen müssen durch Handlungen repräsentiert werden. Sie sind solange „tot“ wie dies nur verbal oder durch physische Objekte geschieht (Berger/Luckmann).[12] Unter den kognitiven Elementen wären demnach die konstruktiven Regeln entscheidend. Sie würden Kategorien und Typifizierungen schaffen: konkrete und subjektiv einzigartige Erfahrungen würden ständig unter allgemeinen Bedeutungsordnungen subsumiert.[13] Diese Prozesse werden auf Dinge, Ideen, Ereignisse und Akteure angewandt. In dieser Perspektive erscheinen Verhaltensweisen weniger als die direkte Folge einer internen Absicht (was die Autoren Internalisierung nennen, ein Wort, das für mich eher die Verinnerlichung von Werten bezeichnet), sondern sie reflektieren eine externe Definition beziehungsweise bilden diese ab.[14] Statt davon auszugehen, dass Verhaltensweisen natürlich, angeboren oder internalisiert sind, geht dieser Ansatz davon aus, dass sie einer Erklärung bedürfen. Einverständnis wird hier nicht über gemeinsame Normen erzielt, sondern über die eigene Konzeption des Handelnden und dessen, was er als sinnvoll erachtet. Ich würde argumentieren, dass Verhaltensweisen zwar durchaus angeboren sein mögen, aber von daher dennoch oder trotzdem einer Erklärung bedürfen können, beispielsweise bei genetisch bedingten Krankheiten.

 

Akteure haben demnach einen aktiven Anteil an der Ausgestaltung ihrer sozialen Identität, manche mehr, andere weniger. Im Übrigen erscheint mir hierbei wichtig, dass Freiheit (hier zum Beispiel die der Ausgestaltung der eigenen sozialen Identität) durchaus nichts ist, was nur oder vorrangig im Inneren stattfindet, wie es manche Menschen vertreten: ohne äußere Freiheit (zum Beispiel von Einsperrung, etc.) wäre eine innere Freiheit (zum Beispiel das Festhalten an und das (Vor-)Leben bestimmter Werte), die dabei allerdings bestehen bleiben kann, sicherlich weniger wert. Dabei zeigt sich die Wechselwirkung von außen und innen auf ziemlich eindringliche Weise, so sehr beide Perspektiven einzeln betrachtet sich auch unterscheiden können.

Eine kognitive Konzeption von Institutionen betont zunächst die zentrale Rolle der sozial vermittelten Konstruktion einer gemeinsamen Bedeutungsstruktur.[15] Während eine sozialrealistische Perspektive von einer Realität, die irgendwo „da draußen“ in der Welt existiert, ausgeht, besteht die sozialkonstruktivistische Perspektive auf der Annahme, dass Realität durch das menschliche Gehirn, das in sozialen Situationen interagiert, konstruiert wird. Letztlich haben beide ihre Berechtigung, solange man zu einer vernünftigen Kombination gelangt: zum einen konstruieren Menschen mit und in ihren Interaktionen ihre und die Welt gedanklich, emotional, bildlich, symbolisch und verbal, zum anderen existieren die Gesellschaft (und damit die anderen), die Welt und alle ihre materiellen Ausprägungen im Universum jedoch zumindest zeitweilig in unserer Beobachtung und Erfahrung tatsächlich: sie sind nie nur reine Hirngespinste der menschlichen Phantasie, doch stets auch das Ergebnis unserer Vorstellungs- und Erfahrungswelt. Der letzteren sind sie das wohl noch am ehesten: Menschen und Dinge existieren nicht allein aufgrund dessen, dass oder weil wir sie uns vorstellen können, sondern vor allem, weil wir sie erfahren können, was, zumindest im Fall der Dinge vermutlich öfter, erst eine Folge der Vorstellungskraft ist.[16] Erst denke ich an etwas, konzipiere es oder stelle es her und in der Folge kann ich es auch erfahren, berühren, verwenden, verbreiten, etc. Aber genauso könnte man sich auch die Geburt eines Babys denken: die Eltern stellen sich vor, dass ein Kind ihr Leben bereichern und verschönern könnte, und schreiten daher zur Tat.

Vielleicht ließe sich festhalten, dass der Mensch die Art und Weise, wie er ganz speziell und individuell seine Umwelt wahrnimmt und mit ihr interagiert, in seinem Gehirn aufgrund eigener Erfahrungen, überlieferten, vermittelten und als praktikabel, bequem oder machbar anerkannten Verhaltensnormen und -weisen, selektivem angeeignetem Wissen, der Sprache und der Kunst konstruiert: letztlich entstehen so (Welt-)Bilder, Überzeugungen und Meinungen, die wiederum die Umwelt, in und mit der wir leben und die wir prägen und mitstrukturieren, sowie unsere Handlungen, Taten und Aktionen mitbestimmen und -gestalten.[17] Diese Wechselwirkung macht die sozialrealistische und sozialkonstruktivistische Sichtweise zu einem Konglomerat, zu einer Mischung und Vermengung. Und auch in der Liebe wirken Illusion und Realität wie die zwei Seiten einer Medaille. Illusion bleibt sie, wenn Kampf entsteht, und eine Realität ist sie als wirkende Macht und Kraft im Zusammenleben.



Der Mythos vom Drama der Liebe


Der tragische Tod Romeos und Julias, deren Familien verfeindet waren und ihre Liebe nicht zulassen wollten, hat vielleicht ganze Generationen von Liebenden, die das Stück kennen, geprägt. Und das weit über die Tore Veronas hinaus, wo dieses Drama aus der Feder William Shakespeares spielt. Auch Tristan und Isolde lässt Richard Wagner in seiner gleichnamigen Oper sterben getreu dem Motto "im Tode vereint". Die Wirren des Romans „Vom Winde verweht“ hingegen konnten unzählige Leser und später auch Zuschauer der gleichnamigen Verfilmung faszinieren, die die Erfüllung der Liebe über Umwege, Intrigen und Kampf kennenlernten. In „Dornenvögel“ waren die Leser gewöhnt sich auszumalen, wie es wohl ist, katholischer Priester zu sein und sexuelles Begehren für eine Frau zu empfinden und dieses erst dann auszuleben, wenn der eigene innere Zwiespalt überwunden und die Kämpfe ausgestanden sind, die der Erfüllung des Glücks vorgelagert scheinen. Dass das Zölibat bzw. Keuschheitsgelübde weitgehend oder in vielen Fällen eine Illusion war und in erster Linie ganz anderen Zwecken diente als der sexuellen Enthaltsamkeit per se, wird daran deutlich, dass es der Kirche dabei eher um die Vermehrung ihres Besitzes ging, den Ehelose somit an sie abtreten mussten, da es nach dem Tod ja keine anderen Erben gab.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass es die Phantasie, Wünsche oder Erfahrung der jeweiligen Autoren waren, die Mutter oder Vater des Gedankens war, aber nicht immer die sie umgebende Realität der anderen oder gar ein anzustrebendes Ideal. Dass Liebe nur über Kampf, anfängliches Unglück oder gar Ehrgeiz – was ein widersprüchliches Wort an sich ist (denn mit Ehre zu geizen bedeutet ja gerade, dass damit keine sinnvollen Ziele zu erreichen sind), – verwirklichbar zu sein scheint, ist ein Mythos. Viele wollen deshalb unbeirrt daran festhalten, weil auf diese Weise in ihren Augen und denen der anderen gewährleistet bleibt, dass Liebe, natürlich vor allem ihre eigene, etwas Besonderes oder Außergewöhnliches sei. Dabei ist Liebe stets vorhanden und wird durch Kämpfe nur viel eher noch ausgehebelt als gestärkt. In überspitzter Weise führen die vielen Selbstmordattentäter unserer Tage vor, wie aus falsch verstandener Liebe zu einem Gott, also letztlich auch zu sich oder anderen, der Tod gewählt wird, nicht ohne zuvor bis auf die Zähne bewaffnet für abstruse Ziele gekämpft zu haben oder dazu verleitet worden zu sein. Dass diese Weise zu sterben verkehrt ist und aus Rachegefühlen entsteht, beweisen die vielen Satiren und Komödien, die all dies auf die Schippe nehmen und aufzeigen wollen, wie lächerlich sich der Mensch dabei macht. Nicht nur Monty Python hat es vermittelt: zu glauben, er sei dafür erschaffen, für die menschliche oder göttliche Liebe zu kämpfen oder zu sterben, ist genauso ein Trugschluss wie anzunehmen, die Erde sei eine Scheibe, im Erdkern lebten Wesen, Frauen seien dümmer als Männer, Intelligenz sei eine rein genetische Angelegenheit oder Hexen müsse man umbringen, weil sie Unheil verbreiteten. Aber auch das wollen Menschen deshalb glauben, weil Magie und Zauber durch die Verblüffung, die sie auslösen, irritieren können. Der Mensch lebt oft sehr schwer damit, das, was andere besser können oder eben einfach schon können, zu akzeptieren, vor allem, wenn ihm die rationale oder emotionale Grundlage dafür fehlt, die in der Magie und dem Zauber wirkende Kraft zu verstehen, nachzuvollziehen oder nachzuahmen.

Dass Manipulation in der Liebe oft besonders leicht funktioniert, hat vielleicht damit zu tun, dass der Mensch zur Erreichung des Glücks besonders viel Mühsal auf sich zu nehmen bereit scheint. Das Fünkchen Wahrheit, das im mühevollen Ringen um das Glück liegen kann, besteht eventuell darin, dass sie bestätigt, dass Vorfreude häufig die beste Freude ist. In Erwartung dessen, was als Belohnung für die Mühen winkt, sind Menschen oft so dankbar, dass sie eben auch Illusionen und Trugschlüssen aufsitzen. Dafür kann das Glück dann zeitlich auch weiter nach hinten verschoben werden. „Jeder ist seines Glückes Schmied“ stimmt dann insofern, als dass einem das Glück nur dann in den Schoss fällt, wenn man etwas dafür zu tun bereit ist, das heißt sein Glück in Form zu schmieden. Dabei den Mythos vom Drama der Liebe zu nähren, hat vielen Menschen zu Ruhm und Reichtum verholfen, der sie selbst und ihre Fans und Anhänger in ihrem subjektiven Empfinden auf eine bestimmte Art und Weise sicherlich sehr glücklich gemacht hat, aber auch zu viel Leid geführt haben mag.

Die Ankurbelung der Phantasie ist dabei oft ein probates Mittel, denn der Mensch braucht sie wie die Luft zum Atmen: ohne sie wäre er wie ein Rädchen im Getriebe, das tagaus tagein Verpflichtungen und dem Lebensnotwendigen nachgeht, und dabei noch nicht einmal merkt, was das Leben eigentlich ausmacht. So sehr er evolutionär und gesellschaftlich bedingt auf das Überleben und Funktionieren programmiert ist, so sehr sehnt der Mensch sich nach und braucht auch Sinn und Abwechslung im Leben. Und diesen Sinn kann jeder durchaus in etwas Anderem sehen: für den einen ist es ein Porsche oder Lamborghini, für den anderen jeden Tag oder immer wieder ein Becher Schokoladeneis oder Spaghetti. Dass dem Leben aber ein Sinn (oder mehrere) innewohnen, würde wohl kaum jemand bestreiten. Die Plackerei kann nicht umsonst gewesen sein, auch wenn sich manchen dieser Verdacht aufdrängt, wenn Erfolg vermeintlich ausbleibt, einfach gar nicht selbst als solcher wahrgenommen wird oder verdrängt und anders umschrieben wird. So wie Kinder in der Regel selten um die Liebe ihrer Eltern kämpfen müssen, so müssen sich auch Liebende selten ihrer gegenseitigen Liebe versichern oder sie jeden Tag aufs Neue erobern, auch wenn Routine und Alltag eines der tödlichsten Gifte für das menschliche Glück bedeuten können. Das Leben allerdings dadurch aufpeppen zu wollen, indem man der Liebe eine Prise Drama und Wehmut beimengt, scheint denjenigen, denen ohne diese langweilig werden würde, legitim. Symptomatisch für den Umgang mit der Opferrolle, aus der man auszubrechen versucht, steht der international bekannte Fall von Natascha Kampbusch. Sie ging nach ihrer Befreiung von einer Entführung und von sexuellem Missbrauch so verstärkt in die Öffentlichkeit, dass sie dadurch Macht für sich zurückerobern konnte. Dennoch sagt sie noch heute, vor allem aufgrund der negativen Reaktionen ihrer Umwelt, dass wir nur subjektiv frei seien, niemals jedoch objektiv. Vielleicht hatte sie dabei nicht mitbedacht, dass sie sich offensichtlich quasi freimütig in die Zwänge des Medienzeitalters, das Berichtspflicht und Geldverdienen fordert, hineinbegeben hat. Ob das, was sie erlebt hat, etwas mit Liebe zu tun hat, vermag sie freilich nur selbst zu beurteilen.

Aber was ist Liebe eigentlich? Die Arche Noah bauten Amateure (also Liebende), die Titanic Profis. Bekanntlich ging die zweite unter und die erste rettete vielen das Leben und sollte die Vielfalt erhalten. Die symbolische Bedeutung erschließt sich hierbei jedem Einzelnen wohl auf ganz unterschiedliche Weise, zum Beispiel beim Bauen des eigenen Hauses oder beim Überqueren eines Meeres. Die Millionen von Flüchtlinge, die sich ein besseres und lebenswerteres Dasein in den Aufnahmeländern wünschen und oft auch bekommen, setzen ihr Leben und das ihrer Angehörigen aufs Spiel, durchwandern unberechenbare Ozeane und Meere und unwegsames Gelände, legen viele Tausende von Kilometern zurück und muten sich und ihren Kindern allerhand zu, um sich ihren Wunsch auf ein besseres Dasein und Auskommen zu erfüllen, auch wenn es zunächst in die Zukunft projiziert bleibt. Dass dabei die Zahl derer, die angeblich kommen, um Gewalt anzuwenden oder zu verbreiten, eher gering ist, merkt man daran, dass die Flüchtlinge ja zunächst selbst überleben wollen und sie in erster Linie aus diesem Grund gekommen sind. Dass es dennoch welche geben mag, die aus Fanatismus, also als übertriebene Anhänger ihres Glaubens, Gewalt anwenden bzw. dazu instrumentalisiert werden, hat sich jedoch auch immer wieder gezeigt. Daher käme die Leugnung dessen einer Naivität und Dummheit gleich.

Trifft es in der Frage der Liebe das, was Erich Fromm einmal schrieb, nämlich, dass das Gefühl des Getrenntseins beim Menschen Gefühle der Scham, Angst und Schuld erzeuge, die er zu überwinden trachte? Vereinigung ist schließlich ein Kernbestandteil menschlichen Lebens und Wirkens. Oder stimmt eher das, was Oscar Wilde einst sagte, der für seine Eitelkeit und Exzesse bekannt war: dass man in der Liebe erst sich selbst und dann andere täusche? Verwechselte er hier Sex mit Liebe und war gar nicht fähig zu letzterer? So wie William Shakespeare eine überbordende Phantasie besaß? Sicherlich war es die eigene persönliche Prägung, Neigung oder Erfahrung, die diese Männer zu so komplett unterschiedlichen Einschätzungen führte. Dabei erscheint die zutreffendste meines Erachtens diejenige Erich Fromms zu sein, auch wenn gerade seine besonders fromm klingt. Oscar Wilde war vielleicht nicht nur dem Namen nach besonders wild. Oft kommen interessante Erkenntnisse nicht nur aus den Namen, sondern auch dann, wenn die Lebensumstände dieser Autoren oder anderer Künstler, Unternehmer, Geistlicher und Politiker deutlicher vor Augen geführt werden: was hat sie im Leben motiviert, was hat sie bewogen ein Kunstwerk zu schaffen, was hat sie angetrieben, die Welt oder ihr Umfeld verändern zu wollen? Warum haben sie nach Macht, vielleicht auch nur im künstlerischen Ausdruck, gestrebt, etwas, was einen Großteil der Menschheit im großen Stil im Grunde kaum bis gar nicht bewegt? Die Ausübung von Macht bleibt den meisten unter uns schließlich oft so unbewusst, dass kaum einer sagen würde: „Ja, mir geht es um Macht.“ Denn sie wirkt in und um uns ja ohnehin. Und welche Rolle spielt die Macht in der Liebe?

Macht rührt meistens von dem Wunsch her, Kontrolle ausüben zu wollen. Das, was sie kontrollieren, möchten manche im Idealfall auch besitzen bzw. umgekehrt. Erst wenn sie sich etwas vollständig einverleiben und dadurch vielleicht sogar vernichten (wie im Krieg, im Ritualmord oder im Kannibalismus), haben sie das Gefühl des Erfolgs, des Sieges oder des Triumphs. Dass diese Abirrungen vom menschlichen Standard aus falschen Werten entstehen, zeigt das Unglück, das sie mit sich bringen. Dass Liebe aber das Gegenteil von Vernichten, eben vielmehr Erschaffen bedeutet, leuchtet unmittelbar ein, zumindest jedem, der sich von Rachegefühlen frei fühlen kann: aus der Liebe entsteht oft genug neues Leben, nicht nur für die Liebenden, sondern auch für deren Produkt, das Kind. Dass Liebe von daher auch für Neues steht, obwohl sie doch so uralt ist, klingt logisch. Dieses Neue aber dadurch gefährden zu wollen, dass man Leben aufs Spiel setzt, erscheint hingegen komplett unlogisch und führt eher zu einem Martyrium wie es zum Beispiel Jesus erlitten hat (oder dies so wollte bzw. zum Ende seines Lebens sich gezwungen sah, auf sich zu nehmen). Dass Jesus sein eigenes Leben für die Sünden aller geopfert hat, ist ein Akt höchster Barmherzigkeit, zu dem kaum jemand fähig scheint. Deshalb wird Jesus sehr verehrt und ihm wird in vielen Taten als Vorbild oder Ideal nachgeeifert. Jesus opferte sich aus Liebe zu den Menschen und aus Überzeugung für seinen Glauben, seine Vision und seine Mission auf Erden, und eine Nachahmung würde diesen Akt und dessen einzigartigen Effekt fundamental in Frage stellen.

Liebe entsteht und sie wächst, sie kann größer werden und kleiner, und stets ist sie dabei präsent im Leben, denn ohne sie wäre Leben nicht möglich. Um Liebe zu kämpfen, zu streiten oder zu ringen, ist daher wie eine Blume am Stängel zu packen, um sie dadurch gewaltsam zum Wachsen zwingen zu wollen. Das Gegenteil wäre erreicht: der Stängel würde brechen und die Blume wäre um ihr Wachstum gebracht. Entscheidend ist dabei die Erkenntnis, dass erst aus Selbstbewusstsein Selbstvertrauen wachsen kann: der Mensch muss sein Selbst und das, was ihn ausmacht, verstanden haben bevor er vertrauen kann. Dass so viele Menschen Liebe falsch verstehen, liegt offenbar in der Sozialisation begründet. Menschen, die selbst wenig (oder zu viel) Liebe erfahren durften, mussten schon um das Grundlegendste im Leben kämpfen oder glauben ihren Überfluss (hier als das Gegenteil von „überflüssig“) abgeben zu können. Ersteren wurde im wahrsten Sinne des Wortes im Leben weniger geschenkt. Das Schenken beginnt bei allen bekanntlich zunächst mit dem Leben selbst, das aber erst durch den eigenen Willen auch wirklich entsteht. In Freund- und Partnerschaften, im sinnvollen Arbeiten und im Alltagsglück setzt sich das Schenken und Geben fort. Dass der Mensch in den Augen vieler (vor allem solcher, die zu viele Action-Filme gesehen oder verinnerlicht haben) aufs Kämpfen programmiert scheint, hat eher mit seiner Evolution und damit, dass er sich gegen andere Arten durchzusetzen lernen musste, als mit seiner Natur oder prinzipiellen Veranlagung per se zu tun. Beim Töten von Beute als Nahrung macht sich zwar Gewalt bemerkbar und ist im Spiel, aber genauso punktuell, situativ oder selektiv handelt der Mensch umgekehrt auch oft altruistisch, selbstlos, helfend, beistehend oder schützend. Daraus eine prinzipielle universell gültige Natur oder Veranlagung des Menschen ableiten zu wollen, ist also unrichtig und zeigt, dass sogenannte anthropologische Konstanten gar nicht so konstant und anthropologisch sind. Wenn es eine solche aber doch gibt, dann ist sie am ehesten sogar helfend und beistehend, denn im Angesicht der Not und der daraus entstehenden Furcht, selbige womöglich selbst erleiden zu müssen, greift der Mensch oft genug ausgleichend ein. Evolutionsgeschichtlich betrachtet begann der Mensch, sich gegen Seinesgleichen zu wenden bzw. differenzierte nicht, dass Artgenossen häufig dieselben Ziele verfolgten wie er selbst, aber dort, wo er differenziert, ist er durchaus in der Lage, Allianzen zu schließen, sich in Stämmen, Verbänden und Gruppen zu organisieren und Ziele zu verfolgen, die der Allgemeinheit dienen sollen (das Modell des sogenannten „Gefangenendilemmas“ soll als Gedankenspiel hingegen verdeutlichen, dass der Mensch stets nach seinem Vorteil und danach strebt, den anderen auszubooten). Die daraus entstehende Konkurrenz um knappe Ressourcen (was die Natur in ihrer Fülle aber gar nicht bestätigt, sondern was oft nur in der Wahrnehmung vieler Menschen durch Konsum und Übertreibung darin so wirkt) veranlasste den Menschen immer wieder dazu, den Kampf aufzunehmen und anderen ihr Glück streitig zu machen.

Menschliche Gesellschaften wären sicherlich um ein Vielfaches glückloser, wenn es die Liebe nicht gäbe. Doch auch ihr Nichtvorhandensein würde manche Probleme im Zusammenleben zwischen Männern und Frauen vielleicht aufheben, wobei erstrebenswerter als das Fehlen von Liebe dann doch eher die Arbeit an sich selbst wäre, um das zu verwirklichen, worum es der Liebe geht: Harmonie, Verständigung und gemeinsame Basis. Liebe basiert auch auf Anziehung und Vertrauen (wobei die Reihenfolge wohl tatsächlich genauso lautet) und für manche auf Status. Durch letzteren aber wird sie vermutlich eher zur Illusion, an der nur noch deswegen festgehalten wird, weil sie dann als Anker dient, aber nicht als Basis oder Grundlage von Gemeinsamkeit oder Zugehörigkeit. Ein Anker symbolisiert nicht zufällig auch ein Festgebunden- oder Festgefahrensein. Dass so viele Prominente und auch andere Menschen in offenen Beziehungen leben oder reihen- oder stellenweise Partner wechseln, hat vermutlich nur noch punktuell mit Liebe und vorrangig mit Sexualität zu tun. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Türkische zum Beispiel zwischen der romantischen Liebe („aşk“) und Zuneigung/Liebe/Zärtlichkeit („sevgi“) unterscheidet, ganz zu schweigen vom Sex. Überhaupt scheinen einige Sprachen sehr differenziert an manche Dinge heranzugehen, so auch im Fall des „Glücks“. So spricht man im Englischen von „luck“ für das Spielerglück und von „happiness“ für das persönliche/private Lebensglück.

Vielen gelingt es dadurch scheinbar nicht, das Glück und ihre Spielarten als etwas Selbstverständliches hinzunehmen, was sie oft genug auf den ersten Blick ja auch nicht zu sein scheinen. Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski hatte jedoch durchaus recht mit seiner Feststellung, dass das Unglück des Menschen in dem Moment aufhört, in dem ihm ins Bewusstsein gelangt, dass er im Grunde seines Seins glücklich ist (so ähnlich wie es Albert Camus über Sisyphos äußerte, der den Stein immer wieder routinemäßig den Berg heraufrollt und nicht merkt wie sinnvoll und notwendig das eben immer wieder sein kann, solange er darin keinen Kampf sieht oder dieser Tätigkeit ihren inhärenten Sinn abspricht). Um was lohnt es sich zu kämpfen, möchte man dann fragen? Das Wort „Kampf“ leitet sich von dem Lateinischen „campus“ ab, was Schlachtfeld bedeutet und als Synonym für Hochschulen ein zwielichtiges Licht auf alle Universitäten wirft, in denen doch eigentlich Wissen und Weisheit vermittelt werden sollen. In ihnen geht es dann letztlich über den Kampf also doch viel stärker um das Ringen um die „Wahrheit“, die sich somit natürlich nur schwerlich finden lässt. Denn sobald man in Konkurrenz oder Kampf zueinander tritt, leidet die Wahrheit und macht sich aus dem Staub, weil die Eitelkeit Oberhand gewonnen hat. Vielleicht findet sich die Wahrheit durch den Kampf gerade dennoch, weil auch Eitelkeiten Wahrheit hervorbringen können. Schlachtfelder waren Plätze, auf denen sich verfeindete Nationen in Form ihrer Armeen begegnet sind und um ein Territorium gekämpft haben. Dieses Territorium zu sichern, war dabei zunächst das oberste Ziel. Dass in Kriegen und Kämpfen die Wahrheit leidet, erkennt man zum einen daran, dass oft der Spruch gilt "Sieger schreiben die Geschichte" (aber was ist dann mit der Wahrheit der Besiegten?), aber auch daran, dass mit Lügen und Propaganda operiert wird, um die Kriegshandlungen zu rechtfertigen.

Geht es in der Liebe um Territorien? Um das Recht, einen Boden sein Eigen zu nennen und zu nutzen? Den Körper des anderen möchte man im Idealfall aber nicht besitzen, sondern begehren. Manche können das aber offensichtlich nur, wenn sie besitzen. Das Dilemma, in dem sich viele Menschen dadurch befinden, befähigt sie scheinbar nicht zur Liebe. Im übertragenen Sinne äußert sich der Territorialanspruch des Menschen darin, dass er für seine Familien und Nachkommen Boden braucht, um überleben zu können. Der Glaube, ohne Kampf ginge es nicht und das Leben bestehe daraus, ist der Trugschluss, aus dem heraus Menschen einen Gesichtsverlust zu erleben glauben, wenn sie das Feld räumen. Die falsch verstandene Liebe zu Göttern und Menschen hat zu dem Glauben geführt, im Kampf liege Erfüllung, das Seligmachende oder die endgültige Erlösung. Oder Ruhm und Ehre, die man in Trauerzeremonien bei Soldatenbegräbnissen oder bei Ahnenkulten in Szene gesetzt sieht. Bei dieser Form von Ehre geht es genauso um Rache und Vergeltung für eine Missachtung wie in der unerfüllten Liebe, die den Frei-Tod (was er dann ja nicht mehr wirklich ist, sondern viel treffender eben ein Selbst-Mord) wählt, weil Respekt, Antwort/Reaktion oder Anerkennung verweigert wurden und deswegen zu einer umso stärkeren und trotzigeren Identifizierung mit falschen Traditionen führen, eben einem Teufelskreis verkehrter Werte.


 

Handeln und Macht 

 

Crozier und Friedberg formulierten zunächst die Mängel der bisherigen Theorien in der Soziologie. Ihre allgemeine Kritik lautet, dass diese das Prinzip der Rationalität überbewerteten und dass Organisationen dabei als naturgegeben und nicht als zu erklärende Phänomene angesehen würden. Ratio ohne Emotionalität wäre zwar in der Tat hölzern, brüchig und steinig, aber wichtiger erscheint mir viel eher die Balance. Gefühle vom Verstand zu trennen, funktioniert in der Regel nur dann, wenn man bereit ist, eine nötige Integrationsleistung, sowohl innerlich als auch äußerlich, zu verweigern. Und dass es dieser stets bedarf, um eine Organisation im Gleichgewicht zu halten, sei es den menschlichen Körper oder einen Verband, klingt einleuchtend.

Weiter bemängeln die Autoren, dass das zugrundeliegende Rollenverständnis den Spielraum, d. h. die Macht des Akteurs, nicht genügend berücksichtige oder erkläre. Und schließlich werde die Frage nach dem „Wie“ der Integration nicht gestellt.[18] Wie werden Handlungen innerhalb von Organisationen so integriert, also eingebaut und gefestigt, dass daraus Machtbeziehungen entstehen, so fragen sie, bzw. umgekehrt: wie gewährleisten Machtbeziehungen innerhalb der Organisation, dass Handlungen so integriert werden, dass Organisation noch bestehen kann und weitere Interaktionen stattfinden können? Hier handelt es sich also um eine konservative Strategie, die den vermeintlichen „Zerfall“ des Ganzen vermeiden will. Dass Zerfall permanent und oft mikroskopisch klein stattfindet, im atomaren Bereich und dadurch in menschlichen und natürlichen, aber auch in künstlich-technischen Organismen, und dadurch den Weg zur Erneuerung eröffnet, verhindert oder konterkariert ja nicht, dass das Ganze bestehen bleibt, auch wenn es subjektiv gesehen nicht mehr als Ganzes empfunden werden kann. Konservativ, also erhaltend, ist im Leben tatsächlich so vieles, dass ständiger Wandel und Modifizierung diesem nur inhärent und in ihm ohnehin eigenwirksam sind: Bismarcks Sozialversicherung besteht hierzulande noch heute. Doch ihre Spielarten zeigen, wie sehr sie sich von ihrem Anfangsstadium verändert hat, auch wenn der Grundgedanke derselbe geblieben ist. Konservierung, aber auch Transformierung, ist ein wichtiger Vorgang im menschlichen Leben allgemein: er beginnt in der Natur bei Pflanzen, Organismen und Lebensmitteln und setzt sich in der Medizin fort und wirkte traditionell zum Beispiel in den Diensten für Armeen, für die die ersten Konservendosen erfunden und produziert wurden.

 

Crozier/Friedberg geht es auch darum zu zeigen, dass die struktur-funktionalistische Theorie ihre eigenen Begriffe wie die „normative Integration des Handelns“ oder die „Rolle“ das Problem des Zusammenhalts des Ganzen nicht zureichend lösen oder erklären können. Dieser ältere Ansatz betone indes die Anpassung an die jeweiligen Rollenerwartungen zu sehr, so dass Abweichung und Verschleierung im Verhalten der Akteure nicht deutlich würden. Da dieser Ansatz den Spielraum des Akteurs nicht wirklich berücksichtige, sei es fraglich, ob der Bestand einer Organisation tatsächlich auf der Wirkung einer Gesamtheit von Rollen und auf der normativen Integration des Handelns beruhe. In der Tat ist es ja denkbar, dass zum Beispiel „falsche“ Normen[19], wie oben bereits angedeutet, genau diesen Fortbestand gefährden. Niklas Luhmanns Systemtheorie bedeutet nach Ansicht von Crozier/Friedberg dagegen zwar eine Fortentwicklung gegenüber dem struktur-funktionalistischen Ansatz, indem auf die Entstehung von Rollenstrukturen und die Motivierung der Mitglieder eine Antwort zu geben versucht werde. Letztlich sehe Luhmann aber Organisation immer noch als naturgegeben und nicht als zu erklärendes menschliches Konstrukt an.[20] Dem würde ich entgegensetzen, dass Luhmann damit recht hatte, denn auch die Natur und Vorgänge in ihr sind etwas Organisiertes. Nicht wenige Wissenschaftler und Menschen würden für sich in Anspruch nehmen, hinter den Mechanismen der Natur organisierte Strukturen zu entdecken, „organisiert“ in diesem Sinn verstanden als „mit System“ und im Gegensatz zu „willkürlich“ oder „rein zufällig“. Bleibt man bei der konkreten Wortbedeutung von „Organisation“ meint sie in Anlehnung an „Organ“ nichts weiter als den „Teil des Körpers mit bestimmter Aufgabe“.[21]

 

Eine Organisation besteht demnach aus verschiedenen Organen mit einer oder mehreren ihr zugewiesenen Aufgaben. Nichts Anderes aber geschieht auch täglich in der Natur, wenn man sich beispielsweise vor Augen führt, dass Pflanzen durch Photosynthese, vereinfacht gesagt, die Aufgabe zukommt, Kohlendioxid in Sauerstoff umzuwandeln. Pflanzen führen eine Art faszinierendes (Eigen-)Leben in ständiger Interaktion, das eine wichtige Funktion für das gesamte Leben auf unserem Planeten hat. Die Symmetrien einiger von ihnen können etwas darüber aussagen, dass es in der Natur viel mehr Ordnung gibt als viele sich oft vorstellen. Dass zum Beispiel Eiskristalle bzw. Schneeflocken eine hexagonale, also sechseckige, Struktur aufweisen, zeigt, dass auf einer der elementarsten Ebenen, dem Wasser, Strukturen herrschen, die bereits eine eigene Ordnung konstituieren. Was Menschen daraus für das gesellschaftliche Leben ableiten, klingt jedoch oft abstrus und abwegig. Da der menschliche Körper eine sehr komplexe „Ordnung“ aufweist, kann aus den in oder von ihm beobachteten Phänomenen nicht unmittelbar oder direkt auf gesellschaftliche Zustände oder Ordnungssysteme geschlossen werden. Auch wenn das Universum sich offensichtlich in vielem anderen abzubilden scheint, wie zum Beispiel in der Anzahl der Gehirnzellen im Vergleich zu unserer Milchstraße oder in der Struktur so mancher Anordnung auch im menschlichen Körper.

 

Eine mögliche, wenngleich die Abstrusität stützende Beobachtung könnte sein, dass die Zahl „sechs“ in diesem Zusammenhang und die Bedeutung des „Sex“ (bzw. Sexualität) als zwei sehr verwandt klingende Worte darauf hindeuten, wie essentiell Wasser (wenn auch nur gefrorenes) und Sexualität für die Möglichkeit und den Bestand des Lebens auf der Erde sind – eine inzwischen allerdings überholte Annahme angesichts der Möglichkeit der In-vitro-Fertilisation und der Retorten-Babys aus Laboren. Oder man denke an die komplexe Organisation eines Ameisenstaates. Auch im Fall von Fischschwärmen, Zugvögeln oder eines Bienenstocks lässt sich gute Organisation beobachten.[22] Die Tatsache, dass manche Wissenschaftler Naturgegebenes – wie in diesem Fall die Organisation: hier ein natürlicher Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer oder individueller untergeordneter Ziele[23] – als Konstrukte, also von Menschenhand Gemachtes, ansehen, mag daran liegen, dass sie davon ausgehen, dass der Mensch dazu in der Lage ist, vieles selbst zu erzeugen. Das trifft zwar beispielsweise im Fall der Fortpflanzung, in der Herstellung lebensnotwendiger Stoffe im menschlichen Körper und in handwerklicher sowie technischer Produktion zu. Jedoch verfügt der Mensch eben nicht über die Allmacht bzw. Fähigkeit, alles selbst oder allein aus eigener Kraft zu produzieren. So banal das klingen mag: Vielmehr ist er für bestimmte Prozesse auf die ihn umgebende Natur bzw. Umwelt und deren Mithilfe oder Beteiligung angewiesen. Es mag vielen unbewusst[24] bleiben, dass sie für die und bei der Schaffung von Werken oder Gegenständen, also für Kreationen, stets Teil ihrer Umwelt bleiben und dabei nicht aus ihr heraustreten oder unabhängig von ihr agieren können. Die Schizophrenie, also eine Art von Spaltung, die sonst entsteht, ist ursächlich dafür, dass Menschen ihr Leben und Handeln dann nicht mehr als integriert oder sinnvoll empfinden (können).

 

Als entscheidend setzen Crozier/Friedberg gegen die älteren Theorien die Frage des „Wie“ der Integration: „Unter welchen Bedingungen und verbunden mit welchen Zwängen ist kollektives, d. h. organisiertes Handeln von Menschen möglich?“[25] In den Mittelpunkt der Analyse stellen sie daher nicht die Organisation, sondern das organisierte Handeln der Menschen. Dabei werden die Probleme untersucht, die von Organisationen aufgeworfen werden sowie die Mittel, derer sich die Menschen bedienen, um besagte Probleme zu lösen. Von Interesse ist also die Zusammenarbeit der Handelnden. Zusammenarbeit wird hier verstanden als die Integration aller für das Erreichen eines Ergebnisses notwendigen Tätigkeiten, der Machtbeziehungen und der Strategien der Akteure. Die Autoren betonen, dass kollektives Handeln ein gesellschaftliches Konstrukt sei, das es zu erklären gelte (wobei mir hier der Begriff „Konstrukt“ insgesamt zu technisch erscheint). Die jeweiligen Lösungen seien immer kontingent, also ergebnisoffen, da Menschen nicht dazu fähig seien zu optimieren. In der Tat scheint mir das durchaus eine richtige Erkenntnis zu sein, zumal Optimierung auch oft nur situativ bleibt und in toto meist scheitert. Bekanntlich wurde der homo oeconomicus spätestens seit der aktuellen Finanzkrise widerlegt, was jedoch bereits während der Weltwirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts beobachtet werden konnte. Letztlich haben die Menschen stets in Wirtschaftskrisen[26] und umgeben von Kriegshandlungen gelebt, auch wenn sie sich dessen nicht in jeder Lebenslage bewusst waren oder sich weit genug weg wähnten, um sich nicht direkt betroffen fühlen zu müssen. Die Perspektivität bzw. Relativität ist hierbei wieder der entscheidende Faktor: aus Sicht mancher Staaten erscheinen Krisen weniger schlimm oder problematisch. Auf der zeitlichen Ebene ist der essentielle Unterschied zwischen heute und früheren Zeiten wohl, dass im Sinne der Organisation als Ganze (hier: der menschlichen Weltbevölkerung) die Gefahr, dass letztlich alle verlieren werden, wenn es langfristig nur einigen wenigen gelingt, von etwas zu profitieren, das für den Bestand der Gesamtorganisation jedoch auf die Zusammenarbeit und das Wohlergehen aller angewiesen wäre, sehr groß ist.

 

Hier ist als Abhilfe dessen keine rein idealistische Weltsicht und auch kein Wiederaufleben-Lassen alter sozialistischer „Ideale“ gemeint, die genauso wenig wie kapitalistische Rezepte der Gegenwart die Probleme menschlicher (im Sinne humaner, aber auch im Sinne von „von Menschen bevölkerter“) Gesellschaften langfristig zu lösen vermocht haben. Diese Perspektive deutet im Sinne der Prämissen der Organisationssoziologie vielmehr auf etwas hin, das in der Wirtschaftswissenschaft nur allzu leicht unter Ideologieverdacht gerät: Besitzindividualismus und Gemeinsinn sind nur dann kompatibel, wenn dieser Besitz Einzelner von der Gemeinschaft geschützt wird, weil sie diesen als Wert an sich für sinnvoll und erstrebenswert (nicht aber unbedingt immer als produktiv erachtet), ihn dann aber auch für möglichst viele oder sogar für jeden erreichbar werden lässt, was in Teilen ja durchaus schon der Fall ist, wenn man einmal davon absieht, dass großer Reichtum außer durch einen Lottogewinn in der Regel denen vorbehalten bleibt, die ihn erben. Die Gemeinschaft selbst stellt dann möglicherweise auch gerne und freiwillig, und nicht etwa unter Androhung von Zwang, Schlagworten wie „Gleichmacherei“ oder der Vorstellung von vermeintlich notwendigem Anpassungsdruck, die Möglichkeiten dafür bereit, dass das, was einigen so wertvoll erscheint, nämlich der eigene Besitz und dessen Vermehrung, von allen in der einen oder anderen Form erreicht werden kann. Und zwar so, dass man sich nicht notwendig gegenseitig schadet. Derjenige Nachbar, der nicht aus eigenem Mangel voller Neid mitansehen muss wie der Garten des Gegenübers immer größer oder dessen Kinder immer fröhlicher, gebildeter und zahlreicher werden, bliebe dann vielleicht ein friedvoller Nachbar.[27] Dass dieser Nachbar aber auch gerne auf das verzichten können möchte, was der andere hat, ohne gleich dessen Mitleid, Neid oder Druck hervorzurufen oder von ihm als Nichtsnutz, Tunichtgut oder Profiteur in eigener Sache beschimpft zu werden, wäre ein weiterer Schritt im friedvolleren Zusammenleben einer pluralistischen Weltgesellschaft.

 

Um Zusammenarbeit im Sinne Crozier/Friedbergs herzustellen, bedienen sich die Akteure der Spiele, die sie als Integrationsformen organisieren. Der Begriff des „Spiels“ wird von Crozier/Friedberg für die Organisationsanalyse verwendet, da es ihrer Ansicht nach am besten die Funktionsweise einer Organisation zu erklären vermag. Darunter verstehen sie eine „theoretische Radikalisierung des Spiel-Paradigmas“.[28] Spiele werden nicht mehr nur als ein Bestandteil von Organisationen angesehen (Neuberger)[29], sondern der Begriff des Spiels soll Funktionsweisen der Organisation schlechthin erklären. Das wichtigste Element innerhalb des Spiels ist hierbei die „Ungewissheit“ bzw. die „Ungewissheitszone“, die zugleich einen entscheidenden Machtfaktor darstellt: Ungewissheit sei eben das charakteristische Merkmal eines jeden Problems. Deswegen ist es ja ein Problem: man weiß eben zunächst nicht, wie man es lösen soll. Dieses beinhaltet qua seiner Natur immer ein gewisses Maß an Ungewissheit, denn sonst ließe es sich von vornherein lösen. Erst dadurch, dass es einer Lösung harrt, wird es zum Problem. Ein Problem kann nach Ansicht von Crozier/Friedberg auch nie als solches existieren, sondern muss erst umdefiniert werden, um es dem entsprechenden Spiel anzupassen. Man könnte also Probleme meinen, die spielabhängig sind bzw. die Spiele strukturieren. Die Autoren unterscheiden hier zwischen „natürlichen und objektiven“ und „künstlichen“ Ungewissheitsquellen (d. h. vorgegebenen und selbstgeschaffenen), die sich gegenseitig ausgleichen und einen Gleichgewichtszustand gewährleisten.

 

Jede Struktur kollektiven Handelns stellt sich in diesem Ansatz als Machtsystem dar. Dabei definieren die Autoren „Macht“ als Beziehung, in die die Akteure eintreten, um miteinander über ihre Handlungsmöglichkeiten zu verhandeln. Es geht hier also um eine Verhandlungsbeziehung, die a) instrumentell, b) nicht-transitiv und c) gegenseitig, aber unausgewogen ist. Die Akteure verfügen also grundsätzlich über einen Freiheits- und Verhandlungsspielraum, der zugleich ihre Ungewissheitsquelle und damit ihren Machtfaktor darstellt. Aus dieser Sicht stellt sich eine Organisation als ein Gebilde von Konflikten dar und ihre Funktionsweise als das Ergebnis der Auseinandersetzungen zwischen den Akteuren, die die ihnen zur Verfügung stehenden Machtquellen nutzen, um ihre Interessen, und ich würde hinzufügen: Aufgaben, zu verfolgen. Dabei dürften nach Ansicht der Autoren Interessenkonflikte keineswegs als Ausdruck von Dysfunktionen verstanden werden, sondern bildeten die Bedingung für das Funktionieren der Organisation schlechthin. Somit werden auch die „gemeinsamen Ziele“ in Frage gestellt. Sie kann es nach Crozier/Friedberg nicht geben, da a) jedes Mitglied durch die notwendige Arbeitsteilung eine „verzerrte Sicht“ der Ziele hat und dadurch zwangsläufig sein ihm zugeteiltes Zwischenziel als das [genauer: sein] Hauptziel betrachten wird und b) die Individuen miteinander im Wettstreit liegen. „Gemeinsame Ziele“ kann es dann wohl nur geben, wenn alle Spieler einsehen, dass ihre Teilziele sich mit diesen decken. Letztlich bestehe die Organisation also nur durch die Teilziele und Rationalität ihrer Mitglieder, überspitzt formuliert: nicht wegen, sondern trotz des Handelns ihrer Mitglieder.[30] Die Grenzen der Macht aller Akteure (also auch der Führungskräfte) lägen dort, wo die Grenzen der Notwendigkeit des Fortbestands der Organisation sind. In diesem Ansatz ist die Organisation also eine provisorische, kontingente und partielle Kodifizierung der Spielregeln, die sich durchgesetzt haben. Ihre Funktionsweise kann als das Ergebnis einer Reihe von Spielen angesehen werden und sie selbst als die „Gesamtheit aneinander gegliederter Spiele.“[31]

 

Gleich zu Beginn ihrer Analyse stellen die Autoren heraus, dass der Begriff „Macht“ seiner negativen Konnotation entledigt werden soll. Macht wird von ihnen akzeptiert als der „fundamentale Mechanismus der Stabilisierung menschlichen Verhaltens“[32] und erscheint somit als notwendiger Bestandteil menschlichen Handelns. Als allgemeinste Formulierung verstehen die Autoren unter Macht die bestimmten Gruppen oder Individuen zur Verfügung stehende Möglichkeit oder Kapazität auf andere einzuwirken (also Einfluss auszuüben): „Auf andere einzuwirken bedeutet zu ihnen in Beziehung zu treten.“[33] Dies wäre meiner Ansicht nach jedoch erst die Bedingung bzw. Voraussetzung. Dass das allein nicht ausreicht, um Einfluss auszuüben, wird daran deutlich, dass es hierfür weiterer verbaler, oft symbolischer Handlungen bedarf. In Beziehung treten wir tagtäglich zu anderen, üben dadurch aber noch längst keinen Einfluss auf sie aus. Man kann natürlich auch Einfluss ausüben, ohne dass es einem bewusst genug wird, oder man dies will. Macht wird hier also als Beziehung und nicht als ein Attribut der Akteure verstanden. Demnach könnte man sagen, dass man Macht eben nicht „besitzt“, sondern sie vielmehr einsetzt (wie eine Spielchance). Sie beruht nach Ansicht Crozier/Friedbergs auf dem Tausch und sie sei daher eine „Verhandlungsbeziehung“. Demnach ist sie a) instrumentell, insoweit sie nur unter der Perspektive eines Ziels begriffen werden kann, das die Mobilisierung der Ressourcen seitens der Akteure motiviert. Sie ist b) nicht-transitiv, insoweit aus einem Verhalten A, aus dem ein Verhalten B folgt, nicht zugleich auch ein Verhalten C zu folgen hat. Sie ist c) gegenseitig, aber unausgewogen, insoweit sie einen Tauschcharakter hat und ein Kräfteverhältnis beinhaltet. Ausgetauscht würden hier die Handlungsmöglichkeiten.[34]

 

Wobei zu fragen wäre, ob es sich hier nicht um eine missverständliche Formulierung seitens der Autoren handelt: kann man Möglichkeiten austauschen? Richtiger wäre es, eventuell davon zu sprechen, dass es durch die gewählten Handlungen, also die Möglichkeiten, für die man sich entschieden hat, zu einem Austausch untereinander kommt, der dann die Basis für Kooperation bildet. „Handlungsmöglichkeiten“ weisen bereits darauf hin, dass Macht einen Freiraum darstellt, über den jeder Gegenspieler potentiell verfügt, d. h. auch über die Möglichkeit, das zu verweigern, was der andere verlangt. Der Spieler ist also grundsätzlich in der Lage, seine Ungewissheitszone durch sein Verhalten seinen Gegenspielern gegenüber zu kontrollieren, zu verändern und zu gestalten. Entscheidend ist, dass die Ungewissheitszone relevant ist, sowohl in Bezug auf das zu behandelnde Problem als auch hinsichtlich der Interessen und Absichten der beteiligten Parteien. Daraus folgt, dass jeder Spieler darum bemüht sein wird, die Vorhersehbarkeit seines eigenen Verhaltens und das der anderen zu manipulieren bzw. mindestens mitzusteuern: dahingehend, dass sein eigener Freiheitsspielraum ausgedehnt und der des Gegenspielers eingeschränkt wird (siehe hier auch das Gefangenendilemma). Innerhalb der Organisation nun sind allen Spielern bestimmte Zwänge auferlegt, die sich aus den strukturellen Merkmalen und Regeln der Organisation ergeben. Es sind wiederum die die Funktionsweise der Organisation lenkenden Strukturen und Regeln, die die Ungewissheitszonen bestimmen, in denen sich Machtbeziehungen überhaupt erst entwickeln können und innerhalb derer die Handelnden agieren. Die Macht erscheint umso größer je entscheidender die kontrollierte Zone für den Erfolg der gesamten Organisation ist, beispielsweise die Chefetage eines Unternehmens oder Regierungsebenen. Die Struktur der Organisation ist auch insoweit wichtig, als dass sie die Gewinnmöglichkeiten definiert, für die die Mitglieder ihre Ressourcen zu mobilisieren bereit sein sollen. Das bedeutet, dass die Organisation festlegt, was „Erfolg“ in ihrem eigenen Sinne eigentlich bedeutet und dass sie ihren Mitgliedern prinzipiell genügend Einsatzmöglichkeiten beziehungsweise Handlungsoptionen bieten können muss, für die sich der Aufwand an Mobilisierung von Ressourcen für die Erlangung dieses Erfolgsziels lohnt. Macht ist in dieser Sichtweise „...im Grunde nichts weiter als das immer kontingente Ergebnis der Mobilisierung der von den Akteuren in einer gegebenen Spielstruktur kontrollierten Ungewissheitszonen für ihre Beziehungen und Verhandlungen mit den anderen Teilnehmern an diesem Spiel.“[35] Es mag überraschend klingen, im Zusammenhang mit Macht und Organisationen eher lapidar von „Spielen“ zu sprechen. Doch ist diese Form der Interaktion vermutlich die gängigste unter den Menschen, auch wenn sie manchen unbewusst bleiben mag. Dadurch wird jedoch keineswegs suggeriert, dass das Leben in all seiner Komplexität und Ernsthaftigkeit lediglich ein Spiel sei, wie es manche Hasardeure vermutlich vertreten.[36] Gemeint ist nur, dass die Interaktionen zwischen den Menschen von einem Spielcharakter geprägt sind, in denen Macht den entscheidenden Faktor bildet. Wie diese ausgestaltet wird, bleibt den Beteiligten weitgehend selbst überlassen (mit Ausnahme von solchen extremen Zwangssituationen, die jeglichen Freiheitsspielraum zu beschneiden oder zu verhindern scheinen). Im Idealfall besteht also ein Spielraum, der das Leben weniger als Zwang, Anpassung oder Schicksal, sondern eher als „Gestaltungsmasse“ und Freiheitsraum ansieht. Das Leben unter Machtverhältnissen ist somit das Schicksal aller, wenn man so will. Ob dieses von Eltern, Vorgesetzten, Lehrern, Staatsbediensteten oder anderen sogenannten Autoritätspersonen[37] oder von Menschen, die man bewusst oder unbewusst bewundert oder von denen man in der einen oder anderen Weise abhängig ist, und die somit auch Macht über einen ausüben, mitbestimmt ist, hängt von dem jeweiligen Kontext ab, in dem man agiert. Machtbeziehungen unterscheidet das Autorenduo Crozier/Friedberg nach vier Typen: solche, die aus der Beherrschung eines spezifischen Sachwissens und funktionaler Spezialisierung herrühren (Expertentum); solche, die an die Beziehung zwischen einer Organisation und ihrer Umwelt/-segmente gebunden sind (Umweltnahtstellen); solche, die aus der Kontrolle von Informationen und Kommunikationskanälen herrühren (Informationskontrolle) und solche, die sich aus dem Vorhandensein allgemeiner organisatorischer Regeln ergeben (Organisationsregeln).[38]

 

Die Autoren Crozier/Friedberg betonen, dass „das objektive Vorhandensein einer Ungewissheitsquelle an sich noch nichts [aussagt] über den Willen oder die Fähigkeit der Akteure, diese sich darbietende Gelegenheit auch wirklich zu ergreifen und auszunutzen.“[39] Es darf oder kann demnach nicht von dem Vorhandensein einer Möglichkeit beziehungsweise „Machtentfaltungsmöglichkeit“ auf ihre tatsächliche Kontrolle (Macht) geschlossen werden, sagen Crozier/Friedberg. Ich würde hier dann aber eher von Machtausübung als von Macht sprechen. Kontrolle wäre dann die Ausübung der Macht, aber nicht die Macht per se. Die Autoren gehen davon aus, dass selbst in scheinbar ziel- und regellos wirkendem Verhalten gewisse Regelmäßigkeiten entdeckt werden können: Es liegen ihm immer Strategien zugrunde, die sich sinnvoll rekonstruieren lassen. Und das ist auch vollkommen richtig. „Strategie“ ist hier als Gegenbegriff zu klaren Zielen zu verstehen, da Akteure selten kohärenten Programmen folgen. In Strategien werden dagegen einzelne Schritte nicht im Vorhinein festgelegt, sondern vielmehr werden flexible Handlungsmuster entworfen, die situativ anzupassen sind. Zudem sind Abweichungen und Unregelmäßigkeiten wichtig für die Möglichkeit, Freiräume und Autonomie zu schaffen. Durch den Strategiebegriff wird schließlich darauf hingewiesen, dass Akteure nicht fremdbestimmt handeln, sondern weitgehend eigenaktiv. Fremdbestimmung ist ein Merkmal, das gemäß Crozier/Friedberg durch den Rollenbegriff nahegelegt wird, was meiner Ansicht nach jedoch eine verkürzte Sichtweise darstellt: man kann auch außerhalb von Rollenerwartungen und ihrer Erfüllung scheinbar fremdbestimmt handeln bzw. sich fremdbestimmt fühlen. Und umgekehrt kann man auch eine Rolle erfüllen und sich dabei keineswegs fremdbestimmt vorkommen. Erst wenn man eine Rolle nur dann erfüllt, weil das Gegenüber durch seine Macht dies quasi erzwingt, beispielsweise in Form von Unterdrückung, Erpressung, sexueller Demütigung oder Vergewaltigung (siehe das berühmt gewordene Entführungsopfer Natascha Kampusch und ähnlich gelagerte Fälle) oder im schlimmsten Fall unter Androhung von Tötung, ist man fremdbestimmt in einer entsprechenden Rolle, hier beispielsweise in der Gestalt des unterwürfigen bzw. ausgelieferten Parts. Zumindest hat man nicht das Gefühl, frei, eigenverantwortlich oder ungezwungen zu handeln und zu entscheiden, sondern unter Druck, Angst und/oder Sorge. Fremdbestimmung und Rollenbegriff sind daher meiner Ansicht nach keineswegs immer zwangsläufig aneinander gekoppelt.

 

Zutreffen könnte diese Sichtweise auch im Fall professioneller Schauspieler, Sänger oder Models, die in ihrer Performanz weitgehend fremdbestimmt durch Phantasien, Vorgaben und den Willen von Regisseuren, Produzenten bzw. Designern, die Regieanweisungen ihrer Assistenten oder die Inhalte des Skripts/Drehbuchs, Songs bzw. Laufstegprogramms vorgehen müssen – es sei denn sie brechen unerwartet oder bewusst aus ihrer ihnen zugewiesenen und durch viel Geld dotierten Rolle aus. In gewissem Sinne gilt dies auch für Moderatoren und (andere) Werbeträger. Überhaupt erlangt Geld in vielen dieser Beziehungen eine entscheidende Bedeutung: Menschen sind oft bereit, für eine hohe Summe Geldes die wahnwitzigsten Dinge zu tun, vom Auftragsmord bis hin zur Selbstvermarktung. Denn Geld wird zum einen mit Status, Einfluss und Wohlergehen assoziiert, was in einer Gesellschaft, in der kapitalistische Regeln gelten, in der Tat auch allseits akzeptiert scheint, zum anderen aber auch mit Erfolg und Reichtum als anzustrebende Werte. Dies aber nur, weil sich die meisten Menschen diesen aus Sorge vor fehlendem Komfort, Ausgeschlossen-Sein oder Diskriminierung oft genug bereitwillig zu unterwerfen bereit scheinen (anschaulich zu begreifen in verschiedenen Redewendungen wie zum Beispiel „Geld regiert die Welt“, „Haste nichts, biste nichts!“, „Kleider machen Leute“[40] oder „Zeit ist Geld“). Jede Minute oder Sekunde seines Lebens möglichst zu „verwerten“ oder unter dem Aspekt des materiellen „Werts“ zu sehen, wobei dann eben viele Aktivitäten und Aktionen als Zeitverschwendung empfunden werden, was sie bei näherer Betrachtung oft ja gar nicht sind, wird dadurch zum Credo. Diese mehr oder weniger erfolgreiche Suggestion des Kapitalismus hat dazu geführt, dass das Leben der Menschen davon regiert ist, wo sie, womit sie und wieviel Geld sie verdienen können, was auch dazu geführt hat, dass entsprechende Vergleiche gezogen werden und dass – je nachdem wo dringender Bedarf besteht, wie kompliziert und aufwändig die Verwirklichung der Lern- und Arbeitsbedingungen oder die Wichtigkeit für den Erhalt und das Weiterfunktionieren von Gesellschaft ist – manchen Berufen ein höherer Wert zugeschrieben wird als anderen. Wenn man sich vorstellt, dass ein Gemeinwesen langfristig gesehen ohne kaum einen der Berufe, die in ihm ausgeübt werden, auskommen würde – vom Müllmann bis zum Handwerksmeister, von der Putzfrau bis zum Busfahrer oder dem Friseur bis zur Apothekerin – erscheint das allerdings ziemlich absurd.[41] Dass es nach wie vor meistens Unternehmer, Anwälte, Ingenieure, Mediziner, Politiker, Lehrer, Musiker, Journalisten, Schauspieler, Informatiker, etc. sind, die zu den Besserverdienenden gehören (vorausgesetzt natürlich sie zählen zu den Erfolgreichen bzw. Begünstigten), hat demnach mit dem Glauben zu tun, ohne sie würde die Organisation und der Bestand der Gesellschaft nicht funktionieren, was ja auch weitgehend stimmen mag. Schauspieler und Musiker wären demnach für die nötige Unterhaltung, Phantasie, Aufklärung und oft auch Illusion zuständig, Mediziner für die Gesundheit, Journalisten für Information und Analyse, Lehrer für die schulische Bildung, Ingenieure und Informatiker für die Technik, etc.

Doch zurück zu den begrenzten Budgets, die im Fall des Kaufs von Lebensmitteln und anderen Gebrauchsgütern ein Problem darstellen, wenn es um Verbrauchermacht geht: nicht jeder kann sich Bio-Ware oder Fair-Trade-Artikel leisten. Doch selbst deren Höherwertigkeit steht ja auch mancherorts in Frage. Verbrauchermacht ist zwar nicht so allmächtig, wie es einige gerne darstellen wollen, aber es stimmt, dass man fragwürdige Geschäftsgebaren und die Methoden, bei denen die Qualität des Produkts leidet, nicht unterstützen muss und durchaus umgehen kann. Denn diese Qualität wird schon dadurch beeinflusst, auf welchen Wegen der Produktion, des Verkaufs und des Erwerbs die Transaktion von statten geht. Es macht also auch einen Unterschied zu wissen, wie der Händler sein Produkt zu verkaufen versucht. Letztlich wird dadurch zwar die gesamte psychologische Bedürfnisproduktion bzw. die Motivation eines Unternehmers, möglichst viel Geld verdienen zu wollen, die ja am Beginn eines jeden Konsumverhaltens steht, nicht unbedingt und schon gar nicht direkt verhindert. Aber auch symbolische Handlungen haben einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf das Wirtschaftsleben, was zahlreiche Boykotte zeitweilig ja auch immer wieder zeigen.

 

Auch manche Migrationsbewegungen erklären sich nicht zuletzt daraus, dass mit dem Versprechen geworben wird, in der Fremde fände man gutbezahlte oder zumindest bessere Arbeit, was aber gar nicht unbedingt immer der Fall ist[42] oder nur einigen Glückspilzen zu gelingen scheint. In der Blütezeit der zahlreichen „Gastarbeiter“[43], die aus Südeuropa und der Türkei nach Deutschland kamen, mag das noch fast uneingeschränkt gegolten haben. Doch auch heute wirbt beispielsweise Deutschland aktuell wieder damit, dass es gutausgebildete Fachkräfte bräuchte.[44] Wobei die Frage erlaubt sei, ob das oft nicht auch daran liegt, dass es den Firmen um Weiterbildung und Fortbildungsmaßnahmen geht, und dieses Werben gar nicht in erster Linie darauf abzielt, dass sie ausländische oder andere „Fachkräfte“ anlocken wollen. Der tatsächliche Mangel an Fachkräften bezieht sich häufig darauf, dass für viele sehr komplizierte, naturwissenschaftlich-technische und aufwändige Fächer keine geeigneten Studienbewerber mehr gefunden werden können, weil schon die Grundbildung nicht ausreichend dafür ist, wobei sich das Niveau vieler Schüler entgegen so mancher Katatstrophenmeldungen vielerorts und stellenweise sogar eher verbessert hat. Aber auch die Tatsache, dass Menschen andere, für das Wohlbefinden möglicherweise viel wichtigere Werte dem Ziel, eine lukrative Arbeit zu bekommen, unterordnen, erklärt sich dann wohl aus dem Umstand, dass Arbeit als Grundlage der Lebenserhaltung und Statussicherung und -erweiterung gilt und häufig genug auch tatsächlich ist. Wenn aus Eitelkeit oder Geltungssucht vorrangig an Karriere, Ansehen und Geld orientierte Menschen feststellen, dass man selbst in einer vom Geld regierten Marketingwelt wahre Liebe oder echte innere Freiheit nicht kaufen oder ersteigern kann (auch wenn viele Gutbetuchte, lauter kostenpflichtige Fernsehsender und Partnerbörsen mit ausgefeilten Strategien und Programmen genau das zu tun versuchen), passiert die Desillusionierung, die im Kapitalismus zum Geschäft gehört, damit das Spiel weitergehen kann. Liebe, die auch in Form der käuflichen allerorten feilgeboten wird, als eines der Glücksversprechen postmoderner Gesellschaften muss dann oft dafür herhalten, dass Menschen in ihren Erwartungen zur Überhöhung neigen. Diese erklärt sich zum Teil aus Hoffnungen und bewussten oder unbewussten Wünschen.

 

Man unterliegt jedoch eventuell einem Irrtum, wenn man annimmt, dass Geld allein oder das Singledasein per se eher unglücklich macht. Die Anzahl derer, die sich durch Besitz hoher Geldsummen oder von Wertgegenständen und auch als Singles, viele, wenn nicht alle ihre Wünsche erfüllen können, scheint dieser Annahme zu widersprechen. Wir haben es eventuell, ähnlich wie in der Frage der Ausübung von Macht per se, wiederum mit dem Fall zu tun, dass es Menschen gibt, die „anfälliger“ dafür sind, dem Wert des Geldes zu verfallen, als andere, für die „Liebe“, „Freiheit/Unabhängigkeit“ oder „Freundschaft“ ein höheres Gut darstellen. In manchen Fällen werden Besitz von Geld und Freunde sogar in eine Assoziationskette gestellt, was man in Deutschland zuletzt bei dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff beobachten konnte. Sozialpsychologisch ließe sich vermuten, dass Menschen, die echte Liebe selbst nie, nicht früh genug oder vorrangig bzw. nur über den Umweg von Geschenken und Wertgegenständen erfahren haben, auf genau diesen materiellen und ideellen Ersatzwert, wie es das Geld in mancherlei Hinsicht darstellt, da es dem Einzelnen dann die gesellschaftlich gewünschten Faktoren wie Macht, Einfluss und Ansehen zu versprechen scheint, ausweichen. Die Schattenseiten so mancher "Persönlichkeiten" bzw. Prominenten, die genau mit diesen Attributen gesegnet sind bzw. waren, ließen sich zuletzt auch an dem als pädophil geouteten BBC-Moderator Jimmy Saville, dem als Sexualstraftäter vorgeführten ehemaligen französischen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn oder dem als Serienvergewaltiger überführten US-Schauspieler Bill Cosby beobachten.

Dem stehen die Menschen gegenüber, die trotz viel echter Liebe, Anerkennung und Zuwendung in ihren Elternhäusern oder anderswo (z. B. in Großfamilien und Freundeskreisen), genauso statusorientiert handeln und darin erfolgreicher scheinen als diejenigen, die das nicht hatten oder nur weniger davon. Diese Erfolgsmenschen – ein relativer Begriff angesichts dessen, was alles als Erfolg verstanden werden kann – halten dann bestimmte Statuswerte für ganz selbstverständlich, da ihre Eltern oder andere Autoritäten ihnen das vorgelebt haben und sie selbst nun unhinterfragt dieselbe Lebensweise favorisieren und scheinbar ohne viel Mühe dieselben Werte anstreben und verwirklichen können, die ihnen vermittelt wurden. Wenn der Sohn die Firma des Vaters übernimmt, kann er das zum einen aus Mangel an Alternativen oder Phantasie, aus innerem oder äußerem Zwang oder aus echter Überzeugung, Selbstverwirklichung oder Liebe tun. Überhaupt scheint es so, als läge viel Wahrheit in so manchem kulturellen Klischee: dass Deutsche häufig mit der Assoziation in Verbindung gebracht werden, sie seien mit ihrer Arbeit verheiratet und sie lebten, anders als die Franzosen, vorwiegend um zu arbeiten, mag auch historische Gründe haben, die viele von sich weisen würden: die Propaganda der Nationalsozialisten, die durch die Idee „Arbeit macht frei!“ zu suggerieren versucht haben, dass alles andere, also Müßiggang, reine Kreativität um ihrer selbst willen oder gar Unterstützung für andere keinen Wert an sich darstellen, hat zum Teil in manchen Kreisen bis heute ungefiltert durchgeschlagen und bleibt sogar manchem sich dezidiert als links Bezeichnendem teilweise unbewusst. So gilt bis heute für einige der Grundsatz „Wer nicht arbeitet[45], soll auch nicht essen.“ Dass Arbeitslose an ihrer Situation selbst schuld seien, dass sie nicht arbeiten wollen oder gar wertlose Mitglieder der Gesellschaft seien, hört man über manche Medien und Meinungsumfragen vermittelt immer wieder. So sehr dies in manchen Einzelfällen zutreffen mag, so sehr zeigen diese Vorurteile, dass diejenigen, die in Arbeit sind und damit ein gewisses Maß an Macht und Einfluss ausüben können, allein dadurch, dass sie über mehr Geld, Kontakte und vermeintlich höheren sozialen Status verfügen, mitbestimmen können, welche Werte als zentral gelten dürfen und an welchen man sich zu orientieren hat. Dass das Problem der Arbeitslosigkeit aber ganz rasch durch eine allgemeine und nicht nur stellenweise oder branchenspezifisch eingeführte Arbeitszeitreduktion gelöst sein könnte, wissen viele, verweigern sich dem aber, weil sie an einem ganz einfachen psychologischen Angstmechanismus festhalten. Dieser führt dazu, dass zum einen jeder Einzelne glaubt, er müsse intensiver arbeiten, weil der internationale Wettbewerb und der Konkurrenzdruck um Exporte und Aufträge dies so vorschreibe, und man zum anderen davon ausgeht, ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit sei erforderlich, um zu gewährleisten, dass die Menschen aus Sorge vor dem Abrutschen in selbige sich noch mehr anstrengen sollen: also eine doppelte Illusion ist am Werk, die den Status Quo möglichst erhalten soll. Konkurrenz und Wettbewerb gibt es zwar tatsächlich, beide werden jedoch permanent angeheizt und verstärkt, um die Produktion und den Konsum am Laufen zu halten. 

Im Grunde liegt auch hierin eine Fremdbestimmung oder zumindest -beeinflussung, sowohl auf Seiten derjenigen, die sich machtvoller und sozialer wähnen, als auch auf Seiten derjenigen, die sich von ihnen abhängig fühlen. Dass beispielsweise Menschen, die über viel Geld verfügen, dies nur können, weil es Herrschaftsverhältnisse und Standortfaktoren gibt, die dafür sorgen können, dass es gutbezahlte Jobs überhaupt gibt, machen sich nur die Wenigsten klar.[46] Bzw. sie machen es sich klar, leben aber so, als seien diese Vorzüge schicksalhaft. Dass sie innerhalb einer historisch, geographisch und politisch gewachsenen bzw. gestalteten Weltwirtschaftsordnung handeln, die dann ja eben genau als das Schicksalhafte empfunden werden könnte und die ihnen all das erst ermöglicht, ist in den letzten Jahrzehnten angesichts viel mühsamer Aufklärungsarbeit zunehmend ins Bewusstsein gedrungen. Die „Aussteiger“ üben jedoch in gewisser Weise auch Macht aus, indem sie sich all dem verweigern möchten und damit eventuell sogar Gehör finden. Fremdbestimmung ist in beiden Fällen gegeben: derjenige, der dem Geld nacheifert, merkt eventuell nicht, dass er den Werten, die andere als wichtig und erstrebenswert aufgestellt haben, aufsitzt, während derjenige, der dies nicht tut, unter Umständen auf die Werte derjenigen quasi „hereinfällt“, die irgendwann einmal für sich selbst festgestellt haben, dass Kreativität um ihrer selbst willen und Arbeitslosigkeit Freiheit, Selbstverwirklichung und Komfort bedeuten können. Aber auch derjenige, der das Geld als ultimatives (monetäres) Tauschmittel akzeptiert und verwendet, was im Kapitalismus in gewisser Weise alle müssen, die mitspielen wollen, verfügt über die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Diese sieht dann nur anders aus, hat dadurch aber nicht unbedingt einen anderen Wert oder eine andere Berechtigung. Sie ist eventuell nur sowohl für einen selbst als auch für andere nicht unbedingt nachhaltig.

 

Im Fall der Kunst halte ich es für sehr viel wahrscheinlicher – anders als es möglicherweise professionelle Künstler der modernen Szene tun –, dass man sie nie nur als Ziel und Zweck an und für sich ausübt. Die Macht, die von der Kunst ausgeht, liegt zum einen in der Faszination, die das Können des Künstlers auslösen kann (wenn man zum Beispiel an die Werke Michelangelos oder da Vincis, aber auch vieler anderer Genies denkt), aber auch und vor allem in der Botschaft, die sie vermitteln kann. Diese liegt, genauso wie ihre vermeintliche Schönheit, stets im Auge des Betrachters. Die Macht ist der Kunst inhärent, sie kann nie nur Selbstzweck (etwa der Eitelkeit des Künstlers) sein. Oft genug ist die Kunst Ausdruck einer zugrundeliegenden Motivation per se oder einer besonderen Seelenlage, die sich Bahn brechen möchte, und wo sie es nicht kann, darf oder soll, sublimiert und eventuell verdrängt wird, um in anderen Aktivitäten zum Vorschein zu kommen. Dass Menschen sich einreden, beispielsweise kein Talent für Kunst zu haben, mag daran liegen, dass ihnen diese Willensanstrengung nicht sinnvoll für die Integration ihrer Persönlichkeit erscheint, mit ihren vermittelten oder internalisierten Werten unvereinbar vorkommt oder ihnen dies einfach aufgrund von Konkurrenzdruck, von Verhöhnung oder von Angst vor Misserfolg ausgeredet wurde bzw. sie sich selbst dieses Talent ausgeredet haben. „Jeder Mensch ist ein Künstler“ gilt also nach wie vor, hat aber für jeden einen anderen Stellenwert und sagt über jeden einzelnen, je nach Biographie, etwas ganz Unterschiedliches aus. Und auch das, was bei jedem als künstlerische Aktivität herauskommt, muss nicht notgedrungen immer gleich „große Kunst“ sein. Frauen, die lieber Mandalas malen, und Männer, die dieses und Seidenmalerei albern finden, sind vielleicht Klischees, aber ich habe beides und auch in umgekehrter Weise schon erlebt oder gehört. In Anlehnung an eine Diskussion, in der mir aufgrund meines Kunstbegriffs absurderweise eine Nähe zur Kunstzensur der Nationalsozialisten vorgeworfen wurde, bin ich nach wie vor der Ansicht, dass es Ausnahmetalente, also hochbegabte Komponisten, Schauspieler und Maler wie etwa Leonardo da Vinci und Michelangelo in früheren Zeiten gegeben hat oder später van Gogh, Picasso, Matisse, Kandinsky, Monet, Kokoschka, Ernst, etc. Heutzutage werden allerdings auch oft viele reine „Unterhaltungskünstler“ wie Comedy Stars (bzw. Comedians) oder Schlagerstars bereits als „große Künstler“ verehrt, weil sie erfolgreich, lustig oder medial präsent sind. Letztlich kommt es wohl immer darauf an, mit wem man sich unbewusst identifiziert oder dies tun möchte, und das kann sich natürlich fortlaufend ändern. So sehr Unterhaltungskunst auch Kunst ist und ungemein inspirierend sein kann, so sehr scheint die Unterscheidung zwischen e-, u- und f-Kunst (ernste, unterhaltende und funktionale) sinnvoll, wobei die beiden ersteren gleichzeitig auch immer das letztere sind, denn sowohl Ernsthaftigkeit als auch Unterhaltung haben stets eine Funktion. Dass Kunst jedoch nie nur schön sein muss und dass das Wort „Kunst“ eine etymologische Variation kennt, lehrt die Begriffsgeschichte: aus verschiedenen Sprachen und kulturellen Kontexten reicht diese abgeleitet von "können", „Handwerk“, „Art und Weise“, „Stil“, „Ganzheit“, „machen“, „tun“ und „zusammenpassen/zusammenfügen“. Dafür bedarf es der Fähigkeit zu Wahrnehmung/Beobachtung, Geschick, Intuition, Phantasie, Übung, Empathie und Wissen.

 

Das Autorenduo Crozier/Friedberg betont als Gegensatz zur Fremdbestimmung „Aktivität“ und „Autonomie“, die sie u. a. in den Begriffen der Strategie und des Spiels zum Ausdruck bringen, wobei diese allein meiner Ansicht nach nicht ausreichen, um Fremdbestimmung oder Manipulation durch andere auszuschließen. Laut Wikipedia bedeutet „Manipulation“ aus dem Lateinischen aus der Zusammensetzung von manus für „Hand“ und plere für „füllen“ im wörtlichen Sinne: „eine Handvoll (haben), etwas in der Hand haben“, im übertragenen Sinne: „Handgriff oder Kunstgriff“ und im eigentlichen Sinne „Handhabung“ und würde so auch in der Technik verwendet werden. Kann es sein, dass jemand, der an das Bedienen einer Maschine dachte, diese Übersetzung vorgeschlagen hat? Denn man könnte sagen, dass statt plere auch pulire (was viel wahrscheinlicher klingt, denn das Verb „pulire“ ist viel näher dran an „pulation“ als „plere“) gemeint sein könnte? Und das bedeutet im Italienischen beispielsweise „reinigen“, „wischen“ oder „abputzen“. Mit den Händen etwas zu reinigen, könnte also eher darauf hindeuten, dass in technischen Herstellungsverfahren früherer Zeiten im Nachgang noch menschliche Handgriffe wie Putzen oder Wischen, die über die reine Handhabung einer Maschine hinausgehen, weil diese eben auch zu Fehlern, Ungenauigkeiten oder Mängeln neigt, nötig waren. Hierfür gibt es inzwischen natürlich längst auch technische Geräte. Im Lateinischen deutet das Wort „copulare“, was als Substantiv („Kopulation“) auf den Sexualakt hindeutet, auf nichts Anderes als „verbinden“. Denkbar wäre also auch in Anlehnung an „pulare“ die Wortbedeutung „mit den Händen etwas (ver)binden“ (denn mani ist der Plural „die Hände“ im Gegensatz zu mano, „die Hand“), wie zum Beispiel beim Korbflechten. Ganz entscheidend für das Abwenden von Manipulation im Herrschaftssinne ist das Einsetzen des Willens (der jeder Aktivität als solcher ja zunächst immer vorausgeht, auch wenn er dem Handelnden oft unbewusst bleibt), ein klarer Blick, also (nicht notwendigerweise Problemlösungs-), aber dennoch ein gewisses Maß an Intelligenz, die es ermöglicht einzusehen, dass man sich einer Fremdbestimmung zu unterwerfen Gefahr läuft und schließlich auch die Fähigkeit, zwischen „Autonomie“, „Freiheit“ und „Beliebigkeit“ zu unterscheiden, also Differenzierungsvermögen. Ein autonom oder autark, also von anderen vermeintlich gänzlich unabhängig Handelnder und Lebender, der sich vollkommen frei wähnt (weil er beispielsweise nicht im Gefängnis sitzt, sich im Urlaub oder in der Ferne von daheim befindet oder in einer bestimmten Situation gerade allein ist) und gleichzeitig glaubt, er sei stets (eigen-)aktiv und nie dem Willen oder den Vorstellungen anderer unterworfen, wäre eine idealtypische Illusion und/oder ein Verrückter.

Mitglieder des „autonomen Blocks“ (mancherorts auch „schwarzer Block“ genannt) bei Demonstrationen in Deutschland und anderer Ländern Europas waren bei aller Wünschbarkeit von Autonomie vermutlich niemals wirklich autonom oder autark, da sie sich bewusst oder unbewusst von den Vorstellungen von Autoritätspersonen abzugrenzen versuchten und somit bereits auf andere reagiert haben, deren Werte sie nur nicht teilen wollten. In dieser Art von Reaktion ist man jedoch nie frei, autonom oder autark, sondern ganz im Gegenteil im Teufelskreis der Werte der Gegenseite so verfangen, dass man nur schwerlich dazu in der Lage ist, die vermeintlich „richtigen“ Werte zu finden oder zu verkörpern. Die Unmöglichkeit exakter Handlungsprogramme führen Crozier/Friedberg dabei auf drei Gründe zurück:

a) Beim Verhalten der Mitglieder handelt es sich immer um begrenzte Rationalität.

b) Es besteht nur begrenzte Interdependenz der Organisationsmitglieder, d. h. es gibt unterschiedlich hohe Verdichtung von Kontakten, so dass Maßnahmen einer Stelle nicht notwendig auf alle anderen Stellen ungefiltert durchschlagen.

c) Es besteht nur begrenzte Legitimität der Organisationsziele, d. h. es gibt keine gemeinsamen Ziele, sondern alle Individuen verfolgen unterschiedliche Ziele und stehen somit im Wettstreit um begrenzte Ressourcen.[48]

Strategien haben grundsätzlich zwei Seiten: eine offensive und eine defensive. Jeder Akteur sei darum bemüht, auf die anderen Mitglieder der Organisation Zwang auszuüben, um seine eigenen Forderungen durchzusetzen (offensive Strategie). Zugleich wolle er ihrem Zwang durch den systematischen Schutz seines eigenen Spielraums entgehen (defensive Strategie). In jeder Handlungssituation sind grundsätzlich beide Strategien vorhanden, und ihre Durchsetzung erzeugt unzählige Macht- und Tauschbeziehungen, die die Grundlage für die Funktionsprozesse innerhalb der Organisation darstellen.

Strategien können also variabel sein: mehr oder weniger riskant, mehr oder weniger aggressiv, mehr oder weniger defensiv, mehr oder weniger durchdacht, mehr oder weniger effektiv – doch stets kontingent, also ergebnisoffen. Durch diese Variabilität der Strategien ist auch der Weg eröffnet, das klassische Rollenverständnis zu modifizieren, und zwar dahingehend, dass durch die im Strategiebegriff implizierten Abweichungen und Unregelmäßigkeiten Wahlmöglichkeiten entstehen, die sowohl eine Mehrdeutigkeit von Rollen als auch eine grundsätzliche Umstrukturierung des gesamten Spiels zulassen. Letztlich könnte dadurch der Rollenbegriff definiert werden als „relativ stabiler Gleichgewichtszustand zwischen einerseits einer dominierenden Mehrheitsstrategie und andererseits einer oder mehrerer Minderheitenstrategien.“[49] Eine Überschreitung des Schwellenwerts dieses Gleichgewichtszustands würde eine Umkehrung desselben, also eine neue dominierende Strategie mit sich bringen.

 

Wie bereits erwähnt handelt es sich bei Spielen um Integrationsformen, die die Akteure sich ausdenken, organisieren oder denen sie folgen, um ihre Ziele zu erreichen. Die Spiele sind als Integrationsformen wichtig, um den durch rücksichtslos eingesetzte Strategien und Ziele drohenden Verfall der Organisation zu verhindern. Die Spiel-Metapher soll die Aufgabe erfüllen, zwischen der Freiheit des rationalen Entscheiders und dem Zwang des fremdbestimmten Rollenträgers zu vermitteln. Sie weist darauf hin, dass alle Akteure ihre Eigeninteressen verfolgen und gewinnen möchten. Sie haben aber gleichzeitig auch ein Interesse daran, dass sie weiterspielen können, dass die Organisation also bestehen bleibt. Daher müssen sie teilweise Kompromisse eingehen und die Erwartungen der anderen Spieler erfüllen, um ihre gemeinsame „Spielfähigkeit“ zu erhalten. Oberstes Ziel ist also, dass weitergespielt werden kann, wichtigstes Nebenziel ist, dass dies unter möglichst günstigen Bedingungen (Gewinnaussichten) für einen selbst geschieht. Spiele integrieren Freiheit und Zwang: da alle voneinander abhängig sind (zumindest innerhalb einer Organisation) und aufeinander Macht ausüben, sind sie alle miteinander vernetzt. In Crozier/Friedbergs Worten: das Spiel „ist das Instrument, das die Menschen entwickelt haben, um ihre Zusammenarbeit zu regeln“.

Man könnte es auch so formulieren: Spiele dienen der Kooperation, Kommunikation oder Interaktion zwischen Menschen, die miteinander in Beziehung treten wollen oder in Beziehung zueinander geraten (Schicksalshaftigkeit einmal ausgeblendet). Crozier/Friedberg führen aus: „Es [das Spiel] ist das wesentliche Instrument organisierten Handelns. Es vereint Freiheit und Zwang. Der Spieler bleibt frei, muss aber, wenn er gewinnen will, eine rationale Strategie verfolgen, die der Beschaffenheit des Spiels entspricht, und muss dessen Regeln beachten. Das heißt, dass er zur Durchsetzung seiner Interessen die ihm auferlegten Zwänge zumindest zeitweise akzeptieren muss. Handelt es sich, wie stets bei einer Organisation, um ein Kooperationsspiel, so wird das Produkt des Spiels das von der Organisation gesuchte Ergebnis sein. Dieses Ergebnis wird aber nicht durch die direkte Steuerung der Teilnehmer erreicht, sondern durch die Orientierung, die ihnen Beschaffenheit und Regeln des Spiels auferlegen, das jeder von ihnen spielt und in denen sie ihr eigenes Interesse [und ihre Aufgaben] suchen.“[50] Weiterhin weist das Autorenduo darauf hin, dass der Verlauf des Spiels ein menschliches Konstrukt ist, an kulturelle Muster gebunden bleibt und von den Fähigkeiten der einzelnen Spieler abhängt.

 

Crozier/Friedberg betonen, dass das Spiel-Konzept weder eine Chancen- und Machtgleichheit der Spieler, noch einen Konsens über die Spielregeln beinhaltet: „Zwar werden sich wahrscheinlich Sozialisationsprozesse um relativ stabile Spielstrukturen herum anlagern, aber zur Fortsetzung des Spiels sind sie keineswegs notwendig. Denn der von diesen Spielen auferlegte Zwang erstreckt sich nicht auf bestimmte Verhaltensweisen, sondern auf eine Skala möglicher Strategien, unter denen der Akteur eine Wahl trifft, wodurch er unmittelbar oder in naher Zukunft eine Veränderung des Spiels selbst hervorrufen kann. Dies bleibt immer offen.“[51] Das Spiel bleibt also letztlich dadurch immer kontingent, dass der Akteur durch seine Wahl stets auch Veränderungen herbeiführen kann. Die Offenheit des Spiels bedeutet auch die Möglichkeit, das eigene Scheitern oder Verlieren mit einzuplanen: Es steht einem Akteur grundsätzlich frei, aus Lektionen nicht zu lernen, also uneinsichtig und nicht anpassungsfähig zu bleiben und eine sich als erfolglose herausgestellte Strategie fortzusetzen. Spiele vernetzen sich schließlich in komplexen Organisationen zu „konkreten Handlungssystemen“. Diese versteht das Autorenpaar als kontingente Produkte und nicht als natürliche Gegebenheiten. Sie bilden sich aus einer hierarchischen Verschachtelung von Spielen und Metaspielen. Ein konkretes Handlungssystem ist „ein strukturiertes Gebilde, das die Handlungen seiner Angehörigen durch relativ stabile Spielmechanismen koordiniert und seine Struktur, d. h. die Stabilität seiner Spiele und der Beziehungen zwischen diesen durch Regulierungsmechanismen aufrechterhält, die wiederum andere Spiele darstellen.“[52] Da wären wir dann wieder bei einem „Gebilde“. Crozier/Friedberg weisen darauf hin, dass durch die Einführung der Begriffe der Strategie und des Spiels sowohl der Zwanghaftigkeit und Vorstrukturiertheit kollektiven Handelns als auch der Wahlmöglichkeit, die menschlichem Verhalten innewohnt, Rechnung getragen wird. Dabei betone dieser analytische Zugang den sozial konstruierten und sozial aufrechterhaltenen Charakter jeder Struktur kollektiven Handelns. Zudem kann in diesem Ansatz die Rolle der Führungskräfte relativiert werden, da auch sie den Spielregeln unterworfen sind. Ihre Macht leiten sie daraus her, dass sie qua Status oder Position das Fortbestehen des Ganzen und die Regulierung der Spiele kontrollieren. Dabei ist ihr Spielraum jedoch nicht unbegrenzt, da sie dem Zwang der Umwelt und den Sanktionen, die diese gegenüber der Organisation ausüben können, unterstehen. Sie können zwar die Informations-, Interaktions- und Kommunikationskanäle zu ihren Gunsten einsetzen, jedoch stoßen sie dort auf Grenzen, wo der Erfolg des Ganzen, und somit auch ihre eigene Existenzberechtigung und -grundlage, bedroht wird. Anschaulich ist dies zum Beispiel in der Verurteilung von korrupten Managern, die sich häufig genug wieder freikaufen, zu beobachten. Letztlich können die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente nur als alternative Möglichkeit der Einwirkung auf den Ablauf der Spiele betrachtet werden, also nicht als absolutes, sondern nur als relatives Machtmittel.

Auch der Satz „das Machtvakuum muss gefüllt werden“ würde Sinn ergeben.[53] Die Frage jedoch sei erlaubt, ob dies nur für den Menschen gilt, d. h. ob die übrige Natur und Tierwelt frei von Macht sind? Beispielsweise stellen wir uns den Löwen, den Elefanten oder den Bären als mächtiger oder machtvoller vor als die Maus, den Vogel oder die Gans. Wobei dann schon wieder der Adler mächtiger ist als der Spatz, etc. Überlegenswert ist auch die Frage, ob Macht quasi bestimmten Typen von Menschen eigen ist, während es im Gegenzug welche gibt, die mit Macht nichts anfangen können. Ist ihr Entsagen von Macht auch bereits ein Ausüben von Macht? Es wird damit lediglich sichtbar, dass Macht im Spiel ist und dass die Menschen schärfer die Trennung von mitmachen oder abwenden sehen. Diejenigen, die sich widersetzen, versuchen sich dem Ganzen eventuell zu entziehen, wenn das denn überhaupt möglich ist.[54] Auch sollte berücksichtigt werden, dass Macht für jeden einzelnen etwas anderes darstellen kann: sie kann in Form von sozialer Kompetenz, Intelligenz, Wissen, Besitz, Schönheit, Geld, Status allgemein, Gesundheit, etc. ausgeübt werden, je nachdem, was man für sich als Werte akzeptiert hat, besonders gut kann oder hat und anderen eventuell unbewusst aufoktroyieren möchte oder auch von ihnen erwartet. Im Idealfall aber erwartet man diese Eigenschaften eben nicht oder setzt sie voraus, sondern wünscht sie sich auch für andere, wenn sie durch Anstrengung oder Einsatz auch erreichbar scheinen. Abschließend sehen die Autoren in der Organisation „nichts anderes als ein Gebilde von Konflikten und ihre Funktionsweise das Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen kontingenten, vielfältigen und divergierenden Rationalitäten relativ freier Akteure, die die zur Verfügung stehenden Machtquellen nutzen.“[55]

 

 

Alte versus neue Theorien 

 

Von verschiedenen Seiten ist wiederholt die Kritik geäußert worden, dass es diesem Ansatz an praktischer Operationalität (also Anwendbarkeit) bzw. an Veranschaulichung durch bestimmte Beispielfälle mangele. Letztere kann aber sinnvollerweise keine Kritik an der Theorie an sich sein, sondern an Defiziten in der Darstellung der Autoren. Es fänden sich zwar in Crozier/Friedbergs Text hin und wieder empirische Beispiele, wie das des französischen Tabakmonopols und den in ihm agierenden Wartungsmechanikern, in dem sowohl der Spielraum der Akteure als auch die Grenzen ihrer Macht aufgezeigt würden, jedoch fehle es an einer „umfassenden Demonstration der Erklärungskraft ihres Ansatzes“ und einer „umfassenden Analyse einer konkreten Spielstruktur.“[56] Ortmann hat hierzu formuliert: „Wir verhehlen nicht, dass uns selbst die Schwierigkeiten einer operationalen Definition und intersubjektiven Bestimmung von Spielen in den von uns untersuchten Fällen fast zur Preisgabe des Spielkonzepts gebracht hätten. So groß die assoziative Kraft der Spielmetapher, so schwierig ihre forschungspraktische Handhabung.“[57] Wie Neuberger zutreffend feststellt, liefern Crozier/Friedberg eine „kluge Aufforderung über den Nutzen der Spiel-Metapher nachzudenken. Sie begründen abstrakt die Brauchbarkeit dieses Paradigmas, geben aber keine konkrete Handlungsanleitung zur Umsetzung dieser Sichtweise.“[58] Aber vielleicht liegt genau darin die Freiheit des Spielers? Kann es sein, dass man in Deutschland viel eher darauf pocht, Anweisungen zu erwarten oder zu bekommen, noch bevor man überhaupt an eine eigenständige Handlung denkt? Und liegt u. a. darin die bekannte „German Angst“ begründet, die sich dann aus einem Untertanengeist speist, der allerdings auch in vielen anderen kulturellen Kontexten wiederzufinden ist?

Türk hat dagegen auf das fehlende „emanzipatorische Potenzial“ dieses Ansatzes hingewiesen[59] und kritisiert, dass es sich dabei um eine „ahistorische Formaltheorie“ und ein „apolitisches Politikkonzept“ handele. Spielstrukturen, Inhalte von Strategien und konkrete politische Interessen würden nicht auf eine empirische Theorie der konkreten historischen Gesellschaftsformationen bezogen, in denen sie vorkommen. Neuberger hält dagegen, dass es sich bei dieser berechtigten Kritik um eine makropolitische Sicht handele, der den mikropolitischen Ansatz nicht zentral berühre, da es diesem vordringlich um die Nahperspektive gehe.[60]

Die Vorteile des Ansatzes von Crozier/Friedberg liegen meiner Ansicht darin, dass sie das Rationalitätsprinzip um andere Faktoren erweitern und auf den grundsätzlich vorhandenen Spielraum der Akteure hinweisen. Realistisch erscheint dieser Ansatz darüber hinaus durch das Aufzeigen der Grenzen der Macht durch den Verweis auf die Gefahr des Zerfalls von Organisationen, dem die Führungskräfte ebenso ausgesetzt sind wie alle übrigen Akteure. Die Neudefinition des Rollenverständnisses ermöglicht zudem einen Zugang zum Verständnis menschlichen Handelns als lediglich einem indirekten Zwang unterworfen. Dieses flexible Rollenmodell, das sowohl Mehrdeutigkeiten als auch Prioritätensetzung von Rollen erklären hilft, lässt auch Minderheitenstrategien zu, die sich unter Umständen durchsetzen können. Insgesamt liefert das Autorenduo einen vielseitigen Erklärungsansatz, der die Funktionsweise einer Organisation theoretisch erklären hilft. Es gelingt ihm dadurch die Einseitigkeit älterer Theorieansätze zu überwinden und zu einer realistischeren Sichtweise von Organisationen zu gelangen als es vor ihnen der Fall war.

Die bemängelte fehlende Anwendbarkeit bzw. Anschaulichkeit wird von den Kritikern jedoch nicht untermauert. Es ist gerade das Ahistorische des Ansatzes von Crozier/Friedberg, das es möglich macht, diese Form der Spieltheorie auf fast alle Interaktionen anzuwenden, mit Ausnahme derer, in denen Menschen sich in extremen Zwangssituationen befinden, in denen keinerlei Interaktion per se mehr möglich ist, wie beispielsweise angesichts der Durchführung der Todesstrafe gegen einen Gefangenen im Todestrakt. Wenn Gefangene in Guantanamo, Abu Ghraib oder auch weniger prominenten Haftanstalten beispielsweise noch einen Freiheitsspielraum haben, dann bezieht sich dieser eventuell auf die Möglichkeit wie sie untereinander agieren und ob sie gegen ihre Wachleute meutern oder sich auflehnen. Es besteht demnach auch eine Freiheit des Gefangenen, solange er kein Todeskandidat, beispielsweise in einem derjenigen US-Gefängnisse oder solchen in China, Saudi-Arabien und einigen anderen Ländern, die die Todesstrafe noch durchführen, ist (siehe wieder das Gefangenendilemma). Frei nach Jean-Paul Sartre und René Descartes könnte man sagen: „Ich denke, also bin ich frei“.[61]


Die Existenzphilosophie geht ja ganz zentral davon aus, dass wir quasi nur unsere nackte Existenz haben, womit der Materialismus vor dem Denken und dem Geist eben zurücksteht. Das tut er in gewissem Sinne auch im Marxismus, der davon ausgeht, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und nicht umgekehrt. Denn worauf es dieser Ideologie dabei ankommt ist, die materiellen Verhältnisse eben derart zu ändern, dass das Geistige, das Denken, das Kreative, etc. Freiraum erhalten und nicht vom Status, der sozialen Klasse oder Zugehörigkeit bzw. dem Materiellen abhängen dürfen oder sollen, d. h. dem eigenen Portemonnaie, dem Mäzen, der Stiftung, überhaupt der Geldgeber, die die Strukturen eben solcherart bestimmen, dass in ihnen nur derjenige Selbstentfaltung und -findung erleben soll oder kann, der die materiellen Bedingungen dafür hat oder bekommt. Umgekehrt ließen sich jenseits des Marxismus aber auch lauter Situationen denken, in denen das Bewusstsein das Sein zu formen und entsprechend zu ändern imstande ist, beispielsweise in der Psychotherapie, allgemein im psychologischen Wachsen der Persönlichkeit und im menschlichen Miteinander und Umgang. Auf den ersten Blick lassen sich der Materialismus und das Geistige scheinbar schwer versöhnen. Sie lassen sich aber in Einklang bringen und müssen dies sogar, so dass eine Ganzheit entstehen kann. Genau darin bestünde die notwendig zu vollziehende Balance- und Integrationsaufgabe bzw. -leistung für das Funktionieren der Organisation. Die Wechselwirkung von Sein und Bewusstsein ist also meist im Fluss und bedingt sich stets gegenseitig und nie nur aus einer Richtung in die andere.

 

Die „Neo-Institutional Theory“ ist erst seit ihrem Aufkommen in der Organisationsforschung in den 1970er Jahren zu einem intensiv diskutierten Thema geworden. Innerhalb der Soziologie hat die Forschung ihr Augenmerk verschoben von intraorganisationalen Prozessen hin zu den Auswirkungen kultureller Glaubenssysteme in der Umwelt von Organisationen. Dabei lag das vorrangige Interesse beim kognitiven statt wie bisher beim normativen Rahmen.[62] Die Fragen, mit denen sich dieser Zweig der Organisationsforschung beschäftigt, sind im Einzelnen: (1) Warum ähneln sich Organisationen vom selben Typ so sehr (z. B. Schule und Krankenhaus)? (2) Wie sieht ihr Verhalten aus? Ist es geprägt von rationalen Interessen oder von Gewohnheiten? Wo kommen Interessen her? Stammen sie aus der menschlichen Natur oder sind sie kulturell konstruiert? Und (3) warum passen sich Individuen/Organisationen den Institutionen an bzw. umgekehrt? Fühlen sie sich moralisch verpflichtet, werden sie belohnt oder gilt beides? Vermutlich trifft für alle Fragen stets beides zu. William Richard Scott sieht im Aufkommen der „Institutional Theory“ eine Fortsetzung und Erweiterung der intellektuellen Revolution seit Mitte der 1960er Jahre, die das Konzept der „offenen Systeme“ in die Organisationsforschung einführte. Die Theorie der offenen Systeme bestand auf der Bedeutung vom weiteren Kontext beziehungsweise Umfeld, da es die Organisation einschränkt, formt und durchdringt (gemeint ist hier neben dem technischen vor allem das soziale und kulturelle).[63]

Forschungsbeiträge kamen zunächst aus der eigenen Disziplin, später auch von Ökonomen und Politologen, aber auch allgemeine Organisationsforscher und -theoretiker haben sich zu Wort gemeldet. Institutionen werden nach dieser Theorie wie folgt definiert: Sie bestehen aus kognitiven, normativen und regulativen Strukturen und Aktivitäten, die dem sozialen Verhalten Stabilität und Bedeutung verleihen. Institutionen werden durch verschiedene Träger transportiert: Kulturen, Strukturen und Routinen. Sie operieren somit auch auf vielfältigen Ebenen der Rechtsprechung.[64] Diese führt als Legislative und Judikative oft das Zepter, wenn es um die Umsetzung von als gültig akzeptierten Werten geht.

 

Im Fall des Krankenhauses möchte man fragen: ähnelt es zum Beispiel tatsächlich der Schule? Nach Michel Foucault wäre die Schule eine Disziplinaranstalt, in der etwas gelernt wird, und mit ihr auch die Psychiatrie oder das Gefängnis, wenn auch in gänzlich unterschiedlicher Form. Das allgemeine Krankenhaus fällt dabei aus diesem Analyserahmen jedoch heraus. Es dient idealtypisch gesprochen in erster Linie der Behandlung und Genesung von einer Krankheit, auch wenn es im schlimmsten Fall neue Krankheiten generieren kann. Auch für eine Heilung oder Genesung sind jedoch Disziplin und Lernen vonnöten, auch wenn ich nicht so weit gehen würde, das Krankenhaus dadurch im Foucaultschen Sinne in die klassischen Disziplinaranstalten einzureihen. Letztlich ist Disziplin im Leben in vielen wenn nicht allen Bereichen nötig, wenn man Ergebnisse erzielen will, und sie aus Kritik am Militarismus zu verteufeln oder schlicht zu negieren, wäre verkehrt.

Institutionen sind vielseitige Systeme, die auch symbolische beinhalten (d. h. kognitive Konstruktionen und normative Regeln) und regulative Prozesse, die durch soziales Verhalten durchgeführt werden und dieses mitgestalten. Bedeutungssysteme, Überwachungsprozesse und Aktionen sind dabei miteinander verwoben. Obwohl sie durch individuelle Akteure konstruiert und erhalten werden, erwecken Institutionen den Anschein einer unpersönlichen, objektiven Realität. Institutionen bewegen sich auf verschiedenen Ebenen, vom Weltsystem bis zu Teileinheiten von Organisationen. Hauptelemente von Institutionen sind regulative, normative und kognitive Systeme. Alle tragen zu einem mächtigen sozialen Rahmen bei. So erscheinen Institutionen als überdeterminierte Systeme, in denen soziale Sanktionen, Druck nach Konformität als auch immanente direkte Belohnung und Werte zusammenwirken, um einem bestimmten Bedeutungssystem seine richtungsweisende Kraft zu verleihen.[65]

 

Scott sieht den Nachteil dieses Modells darin, dass es divergierende Konzeptionen beinhaltet, die er zunächst zu entflechten versucht. Er unterscheidet die verschiedenen Komponenten und identifiziert dabei ihre zugrundeliegenden Annahmen und Mechanismen. Dabei betrachtet er die verschiedenen Systeme (regulativ, normativ und kognitiv) als Elemente. Bisher wurde stets eines dieser Elemente als zentral angesehen. Scott bezeichnet die drei Elemente als Säulen, die die Institution aufbauen bzw. stützen. Diese Säulen wiederum beinhalten verschiedene Dimensionen aufgrund derer Theoretiker zu unterschiedlichen Gewichtungen der Elemente gelangt sind.[66] Fast alle Theoretiker sind sich jedoch über die regulativen Aspekte von Institutionen einig: Institutionen zügeln und regulieren Verhalten. Die einzelnen Ansätze unterscheiden sich lediglich in der Bedeutung, die sie den unterschiedlichen regulativen Prozessen (z. B. Regeln setzende, überwachende und sanktionierende Aktivitäten) geben. Regulative Prozesse beinhalten die Fähigkeit, Regeln zu setzen, die Konformität anderer zu beobachten oder zu überschauen und Sanktionen zu manipulieren, um zukünftiges Verhalten zu beeinflussen. Vor allem Wirtschaftshistoriker und Ökonomen sehen Institutionen vorrangig als auf dieser Säule aufbauend, weil sie sich hauptsächlich mit dem Verhalten von Individuen oder Firmen auf Märkten beschäftigen, wo härtere Eigeninteressen herrschen können und deshalb Regeln für die Stabilität unerlässlich sind. Dasselbe könnte jedoch auch innerhalb von Familien gelten bzw. überall dort, wo Menschen zusammenkommen. Verhalten ist hier demnach instrumentell. Primäres Kontrollmittel ist dabei der Zwang. Zentrale Bestandteile dieser Säule sind daher Gewalt und die Angst (etwa vor Statusverlust, körperlicher Versehrung oder Strafen/Sanktionen), die durch die Existenz von Regeln abgeschwächt werden, an die man sich dann umso stärker zu halten versucht. Auf dem politischen Feld sind nach Max Weber jedoch die wenigsten Anführer damit zufrieden, dass ihr Regime auf Gewalt basiert und wünschen sich ebenso Legitimität.[67] Hierbei geht es jedoch nicht um Akzeptanz oder Richtigkeit der gesetzten Regeln.[68] Vielmehr ist hier wie so oft die Ausübung von Macht zentral. Politische Anführer, ob demokratisch gewählt oder nicht, üben diese eventuell gewissenhafter aus, wenn sie sich der Unterstützung oder Zustimmung ihrer Untertanen und Bürger sicher sind, was für brutale Despoten und autokratische Herrscher sicher nicht gelten mag (bzw. von ihnen durch die Erzeugung von Angst und Konformität gesucht wird) und angesichts von Korruption und Legitimitätsverlusten auch in Demokratien teilweise in Frage zu stellen wäre.

 

Eine zweite Gruppe betrachtet Institutionen vorrangig als normatives System. Es werden dabei die normativen Regeln betont, die eine vorschreibende, bewertende und verpflichtende Dimension in das soziale Leben einführen. Sie beinhalten Werte und Normen. Werte sind darin Konzeptionen des Bevorzugten und Wünschbaren. Sie konstruieren Standards, an denen existierende Strukturen oder Verhalten gemessen und verglichen werden können. Normen spezifizieren wie Dinge gemacht werden sollten oder woran man sich in Situationen zu halten hat. Sie definieren legitime Mittel, um geschätzte Ziele zu verfolgen. Normative Systeme definieren Ziele oder Zielvorstellungen, aber beschreiben gleichzeitig auch wie sie angemessen verfolgt werden. Manche Werte und Normen sind auf alle Mitglieder eines Kollektivs anwendbar, andere nur auf bestimmte Akteure oder Positionen (in diesem Fall handelt es sich um Rollen). Diese Konzeptionen sind nicht nur Vorwegnahmen oder Vorhersagen, sondern Vorschriften, normative Erwartungen darüber, was die Akteure tun sollen. Diese Erwartungen werden von anderen Akteuren aufgestellt und somit als äußerer Druck erfahren. Sie werden auch bis zu einem bestimmten Grad internalisiert. Besonders Berger/Luckmann unterstreichen die zentrale Bedeutung von Rollen für Institutionen. Normative Regeln zügeln häufig soziales Verhalten und gleichzeitig bestimmen sie sie mit. D. h. gleichzeitig ermöglichen sie jedoch auch erst soziale Aktionen. Sie verleihen sowohl Rechte als auch Verantwortung, Privilegien, Pflichten, Mandate und Lizenzen.[69]

Die normative Konzeption wurde von vielen frühen Soziologen wie z. B. Durkheim und Parsons vertreten, vermutlich, weil sich diese häufig mit Institutionen wie religiösen Systemen oder Verwandtschaft, bei denen es eher auf gemeinsame Werte ankommt, beschäftigt haben.[70] Doch gilt dies auch für Firmen, wo der Wert des Status eine ebenso große Rolle spielt wie für Religionen und Familien. Und nicht zufällig sind daher viele Firmen sektenförmig organisiert. Vornehmlich Anthropologen wie Geertz und Soziologen wie Berger, Meyer oder Zucker betonen die kognitiven Elemente von Institutionen: die Regeln, die die Natur der Wirklichkeit ausmachen und die Rahmen, durch die Bedeutungen konstituiert werden. Di Maggio und Powell[71] verweisen auf die kognitiven Dimensionen von Institutionen als das Hauptunterscheidungsmerkmal des „Neuen Soziologischen Institutionalismus". Die Autoren gehen von der kognitiven Dimension der menschlichen Existenz aus: Zwischen der externen Welt der Reize und der Reaktion durch den individuellen Organismus vermittelt eine Reihe von symbolischen Darstellungen/Repräsentationen der Welt. Wie eingangs erwähnt geht das kognitive Paradigma davon aus, dass Handlungen vorrangig als Funktion der inneren Vorstellungen des Handelnden von seiner Umwelt zu verstehen sind. Demnach ist das, was ein Wesen tut, zum größten Teil eine Funktion dessen interner Repräsentation seiner Umwelt und ihrer Werte.[72] Symbole (Worte, Zeichen, Gesten[73]) haben ihren Effekt darin, dass sie Bedeutungen, die wir Objekten und Aktivitäten geben, formen. Bedeutungen entstehen in Interaktionen und werden erhalten und transformiert, indem sie eingesetzt werden, um dem fortlaufenden Handlungsstrom Sinn zu verleihen. Die Betonung der Bedeutung von Symbolen geht auf die zentrale Prämisse Webers zurück. Nach Weber sind soziale Handlungen nur solche, denen eine subjektive Bedeutung beigemessen wird.[74] Um diese zu verstehen oder zu erklären, müssen also nicht nur die objektiven Bedingungen berücksichtigt werden, sondern auch die subjektiven Interpretationen, und ich würde hinzufügen: Motivlagen des Handelnden.

Unter den bisherigen Ansätzen kommt der Symbolische Interaktionismus diesem Modell am nächsten. Dieser hat jedoch solche Bedeutungen und Symbole häufig nur als internalisiert und rein subjektiv betrachtet. Eine wichtige Veränderung in der „Neo-Institutionellen Theorie“ in der Soziologie besteht dagegen in der Behandlung von symbolischen Systemen und kulturellen Regeln als objektiv und extern von individuellen Akteuren.[75]

Es waren vornehmlich Berger und Luckmann, die diese neue Arbeit über Kultur mit einer Konzeption von Institutionen verknüpft haben.[76] In Zusammenarbeit mit Kellner hatte Berger zuvor formuliert, dass jede menschliche Institution eine Ablagerung oder Kristallisation von Bedeutungen in objektiver Form sei.[77] Diese Sichtweise ist nicht inkompatibel mit einer aktivistischen Betrachtung menschlicher Akteure. Individuen konstruieren und verhandeln zwar ständig über die soziale Wirklichkeit im Alltag, aber sie tun dies innerhalb eines weiteren Kontextes von kulturellen, bereits bestehenden Systemen: symbolische Strukturen, die als objektiv und extern wahrgenommen werden und dabei Orientierung und Führung bieten sollen.

Eine kognitive Perspektive nimmt jedoch nicht nur die symbolischen Aspekte in den Blick, sondern auch die Aktivitäten, die mit diesen Glaubenssätzen verknüpft sind. Bedeutungen entstehen in Interaktionen und werden durch menschliches Verhalten erhalten und modifiziert. Allein durch fortlaufendes Verhalten erlangen kulturelle Formen überhaupt einen Ausdruck (Geertz).[78] In ähnlicher Weise argumentieren Berger/Luckmann, wenn sie sagen, dass Institutionen solange „tot“ sind, wie sie nur wörtlich oder durch physische Objekte und nicht etwa durch Handlungen repräsentiert würden. Solchen Repräsentationsformen mangele es an subjektiver Realität, es sei denn sie würden durch kontinuierliches menschliches Verhalten zum Leben erweckt.[79] Die Autoren versäumen es jedoch darauf hinzuweisen, dass Institutionen durch fortlaufend wiederholte oder routiniert durchgeführte Handlungen, die zu sinnlosen Ritualen erstarren können, auch erstickt werden und dadurch an Glaubwürdigkeit verlieren können, wenn sie nicht gleichzeitig dafür sorgen, dass die favorisierten Handlungen zu effektiven, sinnvollen oder gerechten Ergebnissen führen.

Es gibt eine Reihe von kognitiven Elementen, als entscheidend werden jedoch die konstitutiven Regeln (Searle) angesehen.[80] Diese Regeln beinhalteten die Schaffung von Kategorien und die Konstruktion von Typen: Prozesse, durch die konkrete und subjektiv einzigartige Erfahrungen ständig subsumiert werden unter allgemeinen Bedeutungsordnungen, die zugleich objektiv und subjektiv real sind. Solche Prozesse würden auf Dinge, Ideen, Ereignisse und Akteure angewandt.[81] Der Sport liefert eine gute Veranschaulichung: Fußball wird konstruiert aus konstitutiven Regeln als ein Spiel, das aus Dingen besteht wie Torpfosten, Ball und Spielfeld, aus Ideen wie Erfolg, Sieg und vermeintlicher Fairness und Ereignissen wie Abseits, Fouls und Tore. Genauso führen konstitutive Regeln dazu, dass Akteure und Rollen sozial konstruiert werden wie zum Beispiel Trainer, Verteidiger, Torwart, usw.[82] Im Unterschied zur regulativen Perspektive bestehen kognitive Theoretiker darauf, dass Spiele mehr beinhalten als Regeln und Verstärkungsmechanismen: sie bestehen aus sozial konstruierten Spielern, die mit verschiedenen Fähigkeiten ausgestattet sind, um zu agieren und Rollen zu spielen.[83] An diesem Beispiel wird nochmals deutlich, dass – solange die konstitutiven Regeln anerkannt werden – individuelles Verhalten häufig lediglich eine externe Definition widerspiegelt statt einer internen Intention zu folgen. Erst dort, wo sie auch einer inneren Intention folgen, kann man wohl von freiem Willen oder einer freien Entscheidung sprechen. Solche Prozesse sind nicht nur auf künstliche Situationen beschränkt und in Spielen am deutlichsten zu erkennen. Gerade weil konstitutive Regeln so grundlegend sind für jede soziale Struktur und für das soziale Leben, werden sie oft übersehen. Wir nehmen es als gegeben hin, dass individuelle Personen Interessen, Rechte und Fähigkeiten zur Aktivität haben. Aber all diese Akteure oder Rolleninhaber sind soziale Konstruktionen, die wir aus ihnen machen. Sie hängen alle von konstitutiven Regeln ab, die aus Interaktionen hervorgegangen sind und durch sie erhalten und verändert werden. Das Erkennen der Existenz von solch konstitutiven Prozessen liefert eine Erklärung für die meisten sozialen Verhaltensweisen.[84]

In manchen gesellschaftlichen Formationen erscheint es selbstverständlich, wenn Personen idealistische und kollektive Ziele verfolgen, in anderen dagegen individualistische oder materielle. Aus der kognitiven Perspektive werden Interessen nicht als natürlich angesehen, sondern bedürfen einer Erklärung, da sie exogen sind und je nach institutionellem Kontext variieren. Die soziale Konstruktion von Akteuren ist nicht nur auf Personen beschränkt. Auch kollektive Akteure werden ähnlich konstruiert, zum Beispiel Nationalstaaten. Diese Konstituierung von kollektiven Entitäten kann sich über viele Jahre, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende erstrecken. Dadurch erscheinen sie ihren Mitgliedern als legitim, da historisch gewachsen. Sobald sie einmal etabliert sind, können sie daher als Vorlage für das Bilden vergleichbarer kultureller und politischer Formen dienen. Die Charakteristika der Personen und Kollektive variieren nach Ort und Zeit. Es wird gemeinhin davon ausgegangen, dass institutionelle Regeln im Westen den sozialen Akteuren einen weitgehend größeren Spielraum gewähren als im Osten. Während die amerikanische Wirtschaftsstruktur auf Konkurrenz angelegt sei, orientiere sich die östliche stärker an Netzwerken,[85] wobei diese Unterscheidung in der Postmoderne zunehmend bzw. schon längst verschwommen ist.

Die kognitive Sichtweise geht davon aus, dass ein großer Teil der Kohärenz des sozialen Lebens auf der Schaffung von Kategorien von sozialen Akteuren beruht, sowohl von individuellen als auch kollektiven, und von damit zusammenhängenden Verhaltensweisen. Statt davon auszugehen, dass solches Verhalten natürlich sei, betont diese Perspektive die Notwendigkeit einer Erklärung. Das heißt Organisationstheoretiker müssen nicht erklären, warum ein Krankenhaus effektiver arbeitet als ein anderes, sondern warum eine Organisation als Krankenhaus konstituiert ist und die andere zum Beispiel als Schule und somit als solches wahrgenommen und reproduziert wird.[86] Kognitive Theoretiker glauben, dass Einverständnis dadurch erzielt wird, dass andere Verhaltensweisen einfach undenkbar sind: Man befolgt Routinen, weil sie sich (im Sinne wovon auch immer) bewährt haben. Während normative Theoretiker die Macht der Rollen beziehungsweise Rollenerwartungen betonen, verweisen kognitive Theoretiker auf die Bedeutung von sozialen Identitäten: unsere Konzeption dessen, was wir sind und welche Handlungsweisen Sinn machen in einer bestimmten Situation. Statt die beschränkte Wirkung von Normen zu betonen, stellen kognitive Theoretiker zudem eher auf die Bedeutung von Texten ab, die sie als Richtlinien zur Sinnstiftung (sense-making) und Auswahl von bedeutungsvollen Aktionen ansehen.[87] Aber auch Texte unterliegen einer Beschränkung, denn ihr Wahrheitsgehalt kann durch verschiedene Faktoren manipuliert werden und sie sind genauso wie Verhaltensweisen interpretationsfähig. Der „Schriftglaube“ in vielen Weltreligionen hat hieran einen großen Anteil. Was auch dazu geführt hat, dass Menschen manche Sachverhalte erst glauben, wenn sie sie schriftlich gesehen haben. Vielleicht wurde deshalb innerhalb der Geschichtswissenschaft so lange darüber diskutiert, ob es einen schriftlichen Führerbefehl zur Ermordung so vieler Juden gegeben habe, denn es schien manchen unvorstellbar bzw. wurde verdrängt, dass sie tatsächlich stattgefunden hatte.

Einige Soziologen betonen, dass Organisationen in Struktur und Aktionsform gleichgestellt zu sein versuchen mit denen in ihrem Umfeld bestehenden kulturellen Formen.[88] Der Mechanismus, durch den diese isomorphen Prozesse erzielt werden, sei demnach die Nachahmung (mimetic processes).[89] Da wir als Menschen in unserem Verhalten nicht aus dem Rahmen fallen wollen (außer vielleicht Exzentriker, Freaks und Psychopathen[90]) agieren wir in der Regel in konventioneller Weise und durch Anpassung. Status spielt hierbei ebenso eine Rolle. Wir neigen dazu andere zu imitieren, die wir als überlegen oder erfolgreich betrachten (siehe Stars, Sportler, Manager, Politiker, Journalisten, Pfarrer, Lehrer, (Schul-)Freunde, Nachbarn, Eltern oder Geschwister) und uns von denjenigen abgrenzen zu wollen, die wir als unsympathisch, erfolglos oder weniger beliebt betrachten. Ein entscheidender Indikator für den Erfolg dieses mimetischen Prozesses ist die Verbreitung: die Anzahl ähnlicher Individuen oder Organisationen, die eine bestimmte Praxis vollführen, ist anschaulich zu betrachten in dem Streben mancher Völker (beispielsweise Kurden in und um die Türkei, Irak und Syrien herum, Schotten in Größbritannien, Lazen in der Türkei und Georgien, Basken in Spanien und Frankokanadier in Québec/Kanada) einen Nationalstaat gründen zu wollen. Im Bereich der Organisationen stehen diejenigen, die ähnliche Aufgaben erfüllen, unter dem Druck nach strukturellem Isomorphismus. Dagegen betonen Sozialpsychologen vielmehr die interaktive und ausgehandelte Natur dieser Auswahl. Konstitutive Regeln müssen dabei nicht notwendigerweise von außen auferlegt werden. Demnach haben Akteure einen aktiven Anteil an der Ausgestaltung ihrer sozialen Identität, indem sie existierende Regeln und soziale Ressourcen fortlaufend benutzen.[91] Eine kognitive Konzeption von Institutionen betont die zentrale Rolle, die von der sozial vermittelten Konstruktion einer gemeinsamen Bedeutungsstruktur gespielt wird



Legitimität und ihre Anwendungsebenen 

Jede dieser Säulen liefert eine Basis für Legitimität, jedoch jeweils eine andere. Aus der Sicht der Institution ist Legitimität keine Ware oder kein Gut, das ausgetauscht wird, sondern eine Bedingung, die kulturelle Zugehörigkeit, normative Unterstützung oder Übereinstimmung mit relevanten Gesetzen oder Regeln widerspiegeln soll. Berger/Luckmann bezeichnen sie als etwas, das eine zweite Bedeutungsordnung hervorbringt (second order of meaning).[92] Im Frühstadium entwickeln sich Institutionen aus wiederholten Verhaltensformen, die gemeinsame Bedeutungen unter den Beteiligten generieren. Die Legitimierung dieser Ordnung erfolgt erst durch ihren Zusammenschluss mit größeren kognitiven Strukturen, Normen und Regeln. Legitimierung erklärt die institutionelle Ordnung, indem sie ihren objektivierten Bedeutungen einen kognitiven Wert zuschreibt. Und sie rechtfertigt die institutionelle Ordnung, indem sie ihren praktischen Imperativen eine "normative Würde“ verleiht.[93] Max Weber hatte bereits darauf hingewiesen, dass Macht als Autorität legitimiert wird in dem Maße wie sie durch herrschende soziale Normen unterstützt wird. Allgemein gilt, dass organisatorische Legitimität vom Grad an kultureller Unterstützung für die Organisation abhängt.[94]

Die Legitimität einer Organisation kann darüber hinaus negativ beeinträchtigt werden durch eine Anzahl verschiedener Autoritäten, die souverän über sie bestimmen können und die verschiedene Angaben darüber machen, wie sie zu funktionieren hat.[95] Wessen Werte letztlich die Legitimität definieren, ist eine Frage der sozialen (und politischen) Macht, also dessen, der aufgrund seiner Position diese Macht effektiv einzusetzen versteht (wie beispielsweise als Ergebnis und in Folge von Status, von Wahlen, oder in autokratischen, aber auch demokratischen Regimen, wenngleich in letzteren auch viel weniger, auch durch Korruption).[96]

 

Diese drei Säulen weisen auf miteinander zusammenhängende aber unterschiedliche Legitimitätsbasen hin. Die regulative betont die Regelkonformität: legitime Organisationen sind solche, die aufgrund relevanter Erfordernisse eingerichtet wurden oder in Übereinstimmung mit diesen handeln. Eine normative Konzeption beruht auf einer stärkeren moralischen Basis für Legitimität. Normative Kontrollen werden viel eher internalisiert als regulative und die Anreize für Konformität beinhalten sowohl intrinsische als auch extrinsische Belohnungen. Eine kognitive Sichtweise schließlich betont diejenige Legitimität, die daher rührt, dass man einen gemeinsamen Bezugsrahmen bzw. eine gemeinsame Situationsdefinition übernimmt.

Diese drei Konzeptionen können zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Legitimität einer Organisation führen. Einer regulativen Sichtweise würde es darum gehen hervorzuheben, ob eine Organisation rechtlich etabliert ist und ob sie in Übereinstimmung mit den relevanten Gesetzen agiert. Eine normative Sicht würde moralische Verpflichtungen betonen und Handlungen gutheißen, die von bloßen rechtlichen oder ethischen Erfordernissen herrühren.[97]

Es gibt verschiedene Ansätze, die zu erklären versuchen, wie institutionelle Systeme Organisationen stützen bzw. diese bilden. Weber betonte die „legale Ordnung“, die aus bewusst gesetzten rationalen Regeln besteht.[98] Parsons untersuchte die Wertorientierungen und normativen Systeme, die unpersönlichere soziale Formen stützen würden.[99] Kognitive Theoretiker wie Berger/Luckmann strichen später die Entstehung von Technologien und Bürokratie heraus und wiesen dabei auf solche Faktoren wie Reproduzierbarkeit, Ordnung und Vorhersehbarkeit hin. Meyer betonte dagegen die Vorstellung eines einigenden Souveräns neben der Bedeutung der Technologie für die Herausbildung von Prozessen, die zu zuverlässigen Ergebnissen und institutionalisierten Glaubenssätzen führen.[100] Jede Analyse von Institutionen betont deren Rolle bei der Herstellung von sozialer Stabilität. Uneinigkeit besteht jedoch darüber wie diese erzielt werden. Kognitive Ansätze gehen davon aus, dass das Kennzeichen einer Institution schlechthin ihre Fähigkeit zu automatischem Erhalt und zur Selbstwiederherstellung ist. Institutionelle Mechanismen sind solche, die keinem Willensakt bzw. keiner Anstrengung bedürfen. Andere argumentieren, dass genau dies erforderlich sei und dass lediglich Macht und Interesse für den Erhalt der Institution wirksam seien.[101] Ich würde der zweiten Meinung zustimmen und sagen, dass Institutionen in der Tat dadurch am Leben erhalten werden, dass in ihnen Handlungen reproduziert werden, die einer Willensanstrengung bedürfen.[102] Ansonsten hätten wir es lediglich mit Automatismen zu tun, von denen es innerhalb von Institutionen sicherlich auch sehr viele geben mag, wenn sie in einigen nicht sogar mehrheitlich vorkommen.

Während diejenigen, die eine regulative Perspektive einnehmen, eher eine sozialrealistische Position vertreten und von einer rational choice-Logik ausgehen, halten die kognitiven Theoretiker eine sozialkonstruktivistische dagegen. Damit erweitert sich die Perspektive auch auf soziale Wahl und Handlung (theory of practical action).[103] Normative Theoretiker und Sozialkonstruktivisten entdecken nicht die Welt (man könnte sagen: so wie sie objektiv ist) und ihre Mechanismen, sondern erfinden sie gemeinsam. Diese Erfindung entstammt selbst aus existierenden sozialen Arrangements und Glaubenssätzen und wird durch sie eingeschränkt. Sie betonen, in welchem Maße Auswahl an die Art und Weise, wie Wissen konstruiert wird, geknüpft und durch sie eingeschränkt ist. Individuen benutzen in dieser Sichtweise jedoch auch kulturelle Definitionen und Strukturen, so dass sie durch sie informiert und gestärkt werden. Akteure und beispielsweise ökonomische Beziehungen sind nicht in soziale Strukturen eingebettet, sie selbst sind diese Strukturen. Sozialrealisten dagegen gehen davon aus, dass Akteure real und deren Interessen angeboren sind. Ebenso betonen sie, dass Akteure in Handlungssituationen ihre eigenen Präferenzen und Interessen verfolgen.[104]

Institutionen werden nach Scott von Kulturen, sozialen Strukturen und Routinen getragen. Strukturen sind hier die stärker institutionalisierten Aspekte des Verhaltens. Kulturen sind Träger, die auf interpretative Strukturen angewiesen sind – kodierte Bedeutungsformen und Regelsysteme. Kognitive Theoretiker betonen hier die Bedeutung von Kategorien, Unterscheidungen und Typifizierungen. Sie gehen von gemeinsamen Werten und Erwartungen aus. Regulative Theoretiker hingegen stellen eher auf Konventionen, Regeln und Gesetze ab.[105]

Manche kulturellen Glaubenssätze sind spezifisch für bestimmte Organisationen, andere sind allgemeiner Natur. Diese kulturellen Systeme bestehen nicht nur im weiteren Umfeld der Organisation, sondern vor allem in den Köpfen der Individuen. Pierre Bourdieu beispielsweise betonte die Internalisierung von kulturellen Regeln (Konzept des „Habitus“). Soziale Strukturen als Träger sind auf nachgebildete Erwartungen angewiesen, die an Netzwerke von sozialen Positionen geknüpft sind (Rollensysteme). Institutionen können ebenso durch soziale Strukturen getragen werden. Diese wiederum schränken ein und wirken gleichzeitig verstärkend. Manche strukturellen Formen sind weit verbreitet in verschiedenen Organisationen und schaffen somit strukturelle Gleichförmigkeit (Isomorphismus), andere sind spezifisch für eine bestimmte Organisation. Kognitive Theoretiker betonen strukturellen Isomorphismus. Diese Typifizierungen sind häufig in organisatorischen Strukturen als unterschiedliche Abteilungen und Rollen kodiert (wie zum Beispiel in Schulen, Universitäten oder Firmen). Normative und regulative Theoretiker sehen Strukturen eher als Regierungssysteme an und betonen entweder den normativen (Autorität) oder Zwang ausübenden (Macht) Aspekt dieser Strukturen.[106] Institutionen können auch in strukturierten Aktivitäten in der Form von habitualisiertem Verhalten und Routinen verkörpert sein: Routinen sind auf das stillschweigende Wissen der Akteure angewiesen. Es sind tiefverwurzelte Gewohnheiten und Prozesse, die auf unausgesprochenem Wissen und Glauben beruhen, und dort, wo es oder sie ausgesprochen werden, können sie auch in Frage gestellt werden. Solche Routinen tragen essentiell zur Stabilität der Organisation bei. Manche Theoretiker sehen in Routinen gar die treibende Kraft innerhalb der Institution.[107] Winter bezeichnet sie selbst als die „Gene der Organisation“.[108] Diese Sichtweisen verdeutlichen, dass eine Organisation durch institutionelle Kräfte zugleich unterstützt als auch eingeschränkt wird. Eine Organisation kann sogar institutionelle Elemente in Form von Kulturen, Strukturen oder Routinen in ihr eigenes System aufnehmen. Somit werden organisationale Elemente schließlich institutionalisiert. Das Konzept einer Organisation ist als solches bereits ein Produkt von institutionellen Prozessen. Aus dieser Sicht löst sich die Unterscheidung zwischen Organisation und Umwelt allmählich auf: Organisationen werden in diesem Modell von der Umwelt penetriert, d. h. durchdrungen und mitgestaltet.[109]Scott nennt sechs Kategorien für die Anwendung der Institutional Theory: das Weltsystem, das gesellschaftliche Feld, das organisationale Feld, die organisationale Bevölkerung, die Organisation und das organisationale Subsystem. Er misst die größte Bedeutung dem organisationalen Feld zu (warum auch immer er ausgerechnet diese Wahl trifft). Darunter versteht er einen Servicesektor, der durch eine Gemeinschaft verschiedener Organisationen, die eher untereinander statt mit äußeren Akteuren agieren, zu einem anerkannten Bereich des institutionellen Lebens geworden ist.[110] Als Beispiel für ein organisationales Feld wäre das Erziehungssystem zu nennen, das aus einer Reihe von Schulen und Schulformen und damit verbundenen Organisationen besteht wie z. B. Eltern-, Schüler- und Lehrervertretungen. Der zweite wichtige Bereich für die Anwendung von institutionellen Studien ist nach Scott die organisationale Bevölkerung. Hierunter versteht er eine Ansammlung oder ein Aggregat von Organisationen, die sich in mancher Hinsicht gleichen, insbesondere solche Klassen von Organisationen, die relativ homogen in ihrer Verletzbarkeit durch die Umwelt sind. Hier führt Scott das Beispiel der Zeitungskartelle und Gewerkschaften an.[111] Denkbar wären aber auch Krankenkassen oder Sportvereine, die im ersten Fall sehr stark an die Entwicklung von Krankheiten ihrer Mitglieder und im zweiten Fall an die Gunst ihrer Fans gekoppelt sind. Es scheint, als habe Scott im Trend des Zeitgeistes, der – hierzulande zumindest – spätestens seit dem Aufkommen kommunistischer und sozialistischer Ideen in Europa einsetzte, nicht nur innerhalb der Soziologie, sondern auch anderer Wissenschaften wie der Ökonomie, Philosophie und der Pädagogik vorrangig das in den Vordergrund gestellt, was eben diesem Zeitgeist entsprach. Doch auch heute spielen gerade Gewerkschaften und Zeitungskartelle in Zeiten der kontroversen Einschätzung über das Für und Wider von Mindestlöhnen und den Versuchen der Einschränkung und Manipulation von Meinungs- und Pressefreiheit, aktuell am meisten in Polen, Ungarn und der Türkei, wieder eine besondere Rolle und sind damit essentiell für ein gut funktionierendes pluralistisches Gemeinwesen. Auch in Deutschland hat der Umstand, dass es zur Monopolisierung und Konzentration von Druckerzeugnissen in den Händen weniger mächtiger Verlegerfamilien (Springer, Bertelsmann, DuMont, Gruner & Jahr, Funke, etc. ) gekommen ist, dazu geführt, dass die grenzenlose Meinungsvielfalt und -freiheit in Frage steht. Ihre Kontrolle dürfte von daher nicht allein bzw. gar nicht denjenigen überlassen bleiben, die unter Pluralität, Willen und Freiheit allzu oft Manipulation, reine Machtausübung oder Beliebigkeit verstehen.


Nachwort

Nicht nur im Unbewussten können die Faktoren Macht und Gewalt, gerade weil sie und die dahinterliegende Motivation oft diffus bleiben, Unerwünschtes anrichten. Erst wenn beide zu Gegenspielern werden und erstere die Oberhand erlangt, könnte im Sinne eines friedlicheren Zusammenlebens das Ziel eines ausbalancierten Ideals erreicht werden, bis vielleicht sogar Macht gänzlich überflüssig würde. Und vielleicht nur noch Stärke als wirkende Kraft im positiven Sinne übrigbliebe. Wenn statt Macht und Gewalt Stärke und Kraft herrschen, so wie es zum Beispiel die Sonne mit ihren Lichtstrahlen tut, das alles Leben erst ermöglicht, käme vielleicht im übertragenen Sinne das „Himmelreich auf Erden“ ohne apokalyptische Trompeten und Posaunen, auch wenn hier die Symbolik, die gemeint ist, klar sein dürfte. Erst durch Helligkeit in Form von guter Strahlung und Wärme könnten Klarheit und Balance entstehen, die physikalisch so wichtig sind. Kein Sonnengott oder -kult müsste dafür neu erschaffen werden, denn er oder sie wäre bereits da und das tagtäglich und fast allerorten.

Wie unerheblich es dabei ist, ob ein oder mehrere Götter wirken, ob es zu Göttern gewordene Menschen sind bzw. umgekehrt oder gar keine Götter im Spiel sind, wird daran deutlich, dass in der Phantasie der Menschen Monotheismus, Polytheismus und Atheismus sich oft überlagern, wenn sie von Kräften ausgehen, die auf und um sie oder über und unter ihnen wirken. Ob nun der Mensch als Gott oder gar kein Gott oder einer, der sich zurückgezogen hat, verantwortlich sind, bleibt sich dann im Endeffekt und Ergebnis gleich. Dass die Sonne implodieren wird, liegt dabei in einer so fernen Zukunft, dass die Gestaltbarkeit der letzteren wohl kaum eingebüßt wird und durch atomare Balance der ersteren gewährleistet bleibt. Ob wir sie Ra oder Aton nennen oder von einem Sonnenkönig sprechen, wie es die Franzosen getan haben, hat dabei nur symbolische Bedeutung.

Das Schreiben und Lesen über Soziologie ist in Zeiten der Schnelllebigkeit und Beschleunigung in fast allen Lebensbereichen und der permanenten Reizüberflutung durch das Internet, Fernsehen, Computer und Handys, also durch Technik allgemein, zunehmend ins Hintertreffen geraten. Ein wenig zur Entschleunigung beizutragen, indem viele Autoren, die heute vielleicht viel zu Unrecht als passé oder altmodisch abgetan werden, nochmals diskutiert werden, war Teil meines Anliegens. Daher habe ich die Themen von Klassikern wie Max Weber und Talcott Parsons oder moderneren, ebenso wie die beiden ersteren leider bereits verstorbenen Autoren wie Pierre Bourdieu, Michel Foucault und Niklas Luhmann aufgegriffen. Diese Auswahl mag für die „innere Gleichstellungsbeauftragte“ in stärker bürokratisch und politisch korrekt denkenden oder organisierten Gemütern als ich es bin ein Stein des Anstoßes sein. Denn oft genug sind es aufgrund der gesellschaftlichen und universitären Strukturen in der Mehrheit oft genug immer noch Männer, die Studien veröffentlichen. Das hat sich in der Gegenwart im Sinne pluralistischerer Sichtweisen etwas, wenn auch aus vielen teils psychologischen, teils gesellschaftlichen Gründen, nicht grundlegend geändert. Ich habe bei vielen der klassischen männlichen Autoren viel Übereinstimmung zu meinen eigenen Reflexionen gefunden und habe dort, wo ich es erforderlich fand, eigene Zusätze gemacht. Als Forscherin habe ich mich stets auch von den Arbeiten Donna Haraways inspirieren lassen, die die subjektive Perspektive des Forschens betont und bereits sehr früh auf die Verquickung von Mensch, Tier und Maschine hingewiesen hat. Trotzdem halte ich Objektivität für möglich. Sobald es gelingt, Geschlechter-, andere Klischees und Erfahrungen, und eben auch Dichotomien und Ideologien, aufzuheben, können Wissenschaft und Schreiben auch so betrieben werden, dass sie nicht mehr rein interessegeleitet sind. Mir hat das Arbeiten mit der Soziologie stets Spaß gemacht und mein Anliegen war es, den Lesern etwas davon zu vermitteln.

Devrim Karahasan


Literaturangaben

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Fußnoten

 

[1]     Siehe Michel Foucault: Dits et écrits, Paris 1994, S. 259. Vgl. auch Gilles Deleuze/Claire Parnet:    
      Dialogues, Paris 1977, S. 139 und Gilles Deleuze: Lust und Begehren, Berlin 1996, S. 106.

[2]   Ebd., Foucault 1994, S. 253.

[3]   Ebd., S. 255. Vgl. ders. 1994, S. 91f.

[4]    Der wegen mutmaßlichen Kindesmissbrauchs zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte kalifornische Pastor Tony Alamo vertritt die These, dass der Terrorismus in islamischen Ländern und anderswo durch die Katholische Kirche, also den Vatikanstaat, (mit)finanziert wird. Die Verquickung mit der Mafia wird auch immer wieder angeführt. Wenn dem so ist, würde es erklären mit welchen Mitteln Religionsvertreter und ihre häufig immens reichen Sekten, Institutionen und Banken am Schema „gut/böse“ und „moralisch/unmoralisch“, das in fast allen (Welt-)Religionen von entscheidender Bedeutung für die Identifikation mit ihren Werten ist, selbst mitwirken. Um den Gottesglauben und die Mitgliedschaft in den Gemeinden zu fördern, scheinen sie zu allen Mitteln bereit. Vermuten könnte man dann übrigens auch, dass dies nicht nur auf eine Glaubensrichtung beschränkt bleibt, was zum Teil ja auch hinlänglich bekannt ist, sondern auch von politischen extremistischen Gruppierungen zur Einschüchterung der Gegner eingesetzt wird.

[5]    Wobei er während seines Rückflugs bereits wieder zurückruderte und darauf hinzuweisen versuchte, dass verantwortungsvolle Eltern ganz entscheidend seien, was ja sehr richtig ist. Seine grundsätzliche Position hat er dadurch allerdings nicht relativiert oder zurückgenommen.

[6]    Ohne hier etwas darüber auszusagen, wie die Verstandesleistung im Gehirn Tränendrüsen zu aktivieren hilft. Vermutlich tut sie das durchaus, denn auch Mitgefühl ist letztlich Teil einer Verstandesleistung.

[7]    Über die Unzulänglichkeit des Wortes „Indianer“ siehe bei vielen Autoren deren Hinweise auf Stereotypisierung, Unrichtigkeit und Verallgemeinerung. Im Türkischen bedeutet zum Beispiel „insan“ Mensch und als solche bezeichnen sich viele Indianerstämme in vielen verschiedenen Stammessprachen auch tatsächlich. Das englische Wort „insane“ hingegen als das Gegenteil von gesund deutet dann im Gegenzug darauf hin, wie unvernünftig sich die Spezies Mensch eben oft verhält.

[8]    Michel Crozier/Erhard Friedberg: L´acteur et le système. Les contraintes de l´action collective, Paris 1977 (deutsch: Akteur und System. Die Zwänge kollektiven Handelns). Dieser Zusammenhang wird im französischen Originaltitel treffender zum Ausdruck gebracht als in der deutschen Übersetzung. Denn diese spricht von „Macht und Organisation“ statt von Akteur und System. Siehe Michel Crozier/Erhard Friedberg: Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven Handelns, Königstein 1979, S. 24f.

[9] Klaus Türk: Neuere Entwicklungen in der Organisationsforschung. Ein Trend Report, Stuttgart 1989, S. 129.

[10] Dies ließe sich noch ganz zentral durch „Bilder“ ergänzen.

[11] William Richard Scott: Institutions and Organizations. Thousand Oaks CA 1995, S. 40.

[12] Ders., S. 41. Vgl. auch Peter L. Berger/Thomas Luckmann: The Social Construction of Reality. New York 1967, S. 75.

[13] Bei Berger/Luckmann (1967) lautet dies in der englischen Übersetzung: „...processes through which concrete and subjectively unique experiences (...) are ongoingly subsumed under general orders of meaning that are both objectively and subjectively real“, S. 39.

[14] Scott, S. 42.

[15] Ders., S. 43.

[16] Erst die Henne oder das Ei? In diesem Fall scheint klar, dass zunächst das Ei da war, aus dem eine Henne entstand - insofern es ein Leichtes ist sich vorzustellen, dass so wie unser und vermutlich auch andere Planeten entstanden sind, erst Gase und dann Flüssigkeiten sich zu festerer Materie verdichtet haben.

[17] Dass zum Beispiel im Bereich der Religion und ihrer Werte der Islam zurecht dafür kritisiert wird, dem Mann mehrere Frauen zuzugestehen (aber umgekehrt nicht), die er nur entsprechend finanzieren und unterhalten können muss, scheint viele christlich geprägte Männer dazu zu verleiten sich abzugrenzen. Dadurch die eigene Polygamie, serielle Monogamie oder Untreue dabei keineswegs zu thematisieren, sondern zu verdrängen und zu projizieren, gleicht einer Bigotterie oder Heuchelei, da das eigene Verhalten möglichst nicht in Frage gestellt werden darf oder soll. Aber da Auslegungssache in der Tat eine Eigenart von Religionen ist, wird hieran deren Austauschbarkeit und Ähnlichkeit deutlich. Dass Mohammed allerdings Menschenkenntnis bewies, als er die Polygamie zu regulieren versuchte, indem er sie weiter einzuschränken trachtete, nachdem sie zuvor viel verbreiteter gewesen war, ist unbestritten (obwohl er sich selbst kaum an diese Vorgabe hielt). Jesus´ Menschenkenntnis über die Verächter der Armen und Ausgegrenzten („Witwen und Waisen“) steht auf dem selben Blatt. Die Diskussionen darüber, ob diese Propheten tatsächlich gelebt haben oder nur zu bestimmten Zwecken erfunden wurden, verweise ich hier in den Spekulationsbereich von Verschwörungstheoretikern. Jesus als verhinderter Staatsmann und Mohammed als erfahrener Staatsmann, ob nun real oder nur in der Vorstellungswelt der Gläubigen, haben ungeachtet dieser Diskussionen jedenfalls eine Wirkmacht entfaltet, die ihresgleichen sucht.

[18] Michel Crozier/Erhard Friedberg: Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven Handelns, Königstein 1979, S. 24f.

[19] Wobei das Wort „Norm“ ja zunächst einmal nichts über „falsch“ oder „richtig“ aussagt, sondern darauf hindeutet, dass etwas zu einem Standard erhoben wurde, weil Menschen sich lange genug an etwas gehalten haben bzw. dies eben auch künftig tun sollen (siehe beispielsweise bei DIN-Normen, Körperformen oder Abgasnormen).

[20] Viele Männer kompensieren evolutionsbiologisch bedingt eventuell, dass sie den Mangel an Gebärfähigkeit erleben (auch wenn bereits von zuvor als Frauen lebenden Männern berichtet wurde, die aufgrund operativer Eingriffe zur Geburt fähig wurden, und es auch gebärunfähige bzw. unfruchtbare Frauen gibt). Dass hieraus Allmachtphantasien entstehen können, die die Illusion vermitteln, man sei grundsätzlich dazu in der Lage, alles zu kontrollieren und vor allem technisch herzustellen, ist gerade das Verhängnisvolle. Weil technisch eben alles möglich sei, müsse man auch alles technisch möglich machen, ist eine der Folgereaktionen. Dass dies zu Verführungen (und natürlich auch Erleichterungen) geführt hat, die uns allen das Leben teilweise vereinfachen, aber uns auch in ihren Sog zu ziehen drohen bzw. bereits fest im Griff haben, konnten viele frühe Soziologen schon zeigen. Darunter das Ehepaar Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim, aber auch ältere Visionäre oder Schriftsteller wie Aldous Huxley und George Orwell.

[21] Siehe Gerhard Köbler: Deutsches Etymologisches Wörterbuch, Tübingen 1995, S. 294.

[22] Mit Dank an Elisabeth Brinkmann für diese drei Beispiele. Dass ich selbst zunächst an das Beispiel der Photosynthese gedacht habe, mag daran liegen, dass ich im Biologieunterricht am meisten davon fasziniert war, wie wichtig sie für das Leben ist.

[23] Das heißt nicht, dass Menschen nicht aktiv daran mitwirken, dass diese Organisationen zustande kommen: sie entstehen nicht einfach „out of the blue“ – wie man im Englischen sagen würde –, quasi wie ein Regenbogen, der sich beim Auftreten der Sonne nach Regen ganz von allein einstellt, sondern Organisationen wachsen aus einer Initialidee eines Einzelnen oder mehrerer, die darin einen sinnvollen Zusammenschluss sehen.

[24] Das von Sigmund Freud gemeinte „Unbewusste“ wird häufig auch als „Unterbewusstsein“ bezeichnet. Richtig heißt es jedoch „etwas ist mir unbewusst“ und nicht etwa „etwas ist mir unterbewusst“. Entsprechend kann es also kein „Ober- oder Unterbewusstsein“ geben wie ein Schubladenfach (obwohl dieses in der Psychologie oft zur Veranschaulichung angeführt wird), sondern etwas ist oder wird „bewusst“ oder bleibt „unbewusst“. Freud als den Begründer der Zivilisation anzusehen, wie es manche Anhänger tun, halte ich angesichts vieler seiner Übertreibungen und oft zu einfachen Dichotomien für unberechtigt. Zivilisiert abgeleitet von „zivil“ meint zunächst zwar nur den Gegensatz zum Militärischen oder Beruflichen und kann dadurch das fortschrittliche, freiheitliche, private oder bürgerlich-liberale Leben meinen. Darin war Freud vielleicht auch einer der Wegbereiter, aber alles andere als ein leuchtendes Vorbild. Und zur Zivilität gehört sicherlich auch die Einschränkung polygamen Verhaltens.

[25] Michel Crozier/Erhard Friedberg: Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven Handelns, Königstein 1979, S. 24f.

[26] Das deutsche Wirtschaftswunder unter Kanzler Ludwig Erhard beispielsweise war umgeben von lauter Wirtschaftskrisen in anderen Teilen der Welt. Wenn ein Teil des Weltsystems von einer Umwelt penetriert wird, in der weniger Rohstoffe, Arbeitskräfte und/oder Kapital vorkommen oder investiert werden (siehe zum Beispiel Sansibar versus China oder Malawi versus Deutschland), entsteht stets ein Ungleichgewicht. Dieses immer und überall auszugleichen, ist fast unmöglich, wird aber durch häufig aktionistische Maßnahmen versucht. „Mikrokredite“ zur Armutsbekämpfung sind zum Beispiel eines der probateren Mittel, die zwar Produktivität in vielen Ländern der Welt, in denen für gewöhnlich wenig Kapital hinfließt, steigern konnten, die aber dennoch niemals unumstritten waren und sind oder gar ausreichen, um ein Gleichgewicht herzustellen.

[27] Allerdings gilt angesichts der menschlichen Natur unter kapitalistischen Zwängen bzw. Regeln auch, dass Menschen, das, was andere besitzen (können), manches Mal allein dadurch schon wieder reizlos finden, dass oder weil das Gegenüber es (auch) hat.

[28] Türk 1989, S. 129.

[29] Oswald Neuberger: „Spiele in Organisationen, Organisationen als Spiele“, in: Willi Küpper/Günther Ortmann (hrsg.): Mikropolitik: Rationalität, Macht und Spiele in organisationen, Opladen 1988, S. 53-86

[30] Crozier/Friedberg 1979, S. 57.

[31] Dies., S. 69.

[32] Dies., S. 17.

[33] Dies., S. 125.

[34] Dies., S. 42f.

[35] Dies., S. 17.

[36] Ein nach eigener Aussage ehemaliger Scientologe vertrat diese Ansicht und ich war verblüfft über meiner Meinung nach so viel falsch verstandene Leichtigkeit, wobei ja auch Spiele alles andere als „leicht“ sein können, Schach oder „Siedler“ als Strategiespiele etwa. Dass die spielerische Herangehensweise an das Leben richtiger ist als eine streng moralische, eine vorstrukturierte oder eine rein instrumentelle, ist hingegen vollkommen richtig. Aber mir scheint, dass Hasardeure dann oft dazu neigen, Spiele nur noch (zum Beispiel für ihr eigenes Ego) zu instrumentalisieren und dadurch entbehrt das Leben für sie letztlich dann jeder Verantwortung oder Verantwortlichkeit. Denn es ist ja „nur ein Spiel“, was stets aus kindlicher Sicht so klingt wie „es hat dann auch keine weiteren Konsequenzen“. Diese Form des Suchtverhaltens hat Dostojewski in seinem Roman „Der Spieler“ zu zeigen versucht.

[37] „Autoritätsperson“ hat ja etwas damit zu tun, dass man eine Person autorisiert, ihr also die Erlaubnis gibt bzw. ihr gestattet, etwas zu unternehmen oder auszuführen. Insoweit sind also auch diese sozial konstruiert und nicht etwa gott- oder naturgegeben. In parlamentarischen Demokratien zeigt sich das daran, dass gewählte Volksvertreter zum Beispiel alle paar Jahre wieder abgewählt und durch neue ersetzt werden.

[38] Neuberger, S. 207.

[39] Ders., S. 50. Nutzen und ausbeuten sind Vorgänge, die der Natur inhärent sind, häufig durch eine nachträgliche moralische Konnotation aber verwerflich erscheinen können.

[40] Wenn Kleidung zum Beispiel aus Kinderarbeit entstanden ist, kann man versuchen dem Drang, sie zu kaufen, zu widerstehen. In vielen Ländern der Welt gehen Kinder deshalb schon so früh arbeiten und nicht etwa in die Schule, weil es ihren Familien am Nötigsten mangelt und Bildung nur als Verzögerung für das Geldverdienen angesehen wird. Wenn Kinder hierzulande ihr Taschengeld aufbessern, ist das zwar auch Kinderarbeit, aber darüber würde sich wohl zurecht niemand so recht empören.

[41] Einen Beruf allerdings vorrangig deshalb ausüben zu wollen, weil er Macht verspricht oder man diese ausüben will, erscheint kaum erstrebenswert was Erfüllung oder Glück anbelangt. Es erscheint auch schwer vorstellbar, dass ein Mensch zum Beispiel, der von Medizin oder Kunst fasziniert ist, das umso mehr wäre, wenn man ihm mehr Geld für die Ausübung eines diesbezüglichen Berufs böte. Wovon die Faszination letztlich abhängt, ist zwar individuell oft sehr verschieden, aber vom Materiellen kann sie vermutlich nur vordergründig abhängig sein. Da Geld nach wie vor ein Tauschmittel ist, dient es also stets einem bestimmten nachgelagerten Zweck. Und die Wertbemessung ist uns bekanntlich schon seit Langem aus dem Ruder gelaufen, wenn man sich beispielsweise die Preise für Gemälde von Gerhard Richter, die Bezahlung von Fußballprofis oder die Gagen von Hollywoodschauspielern anschaut.

[42] Beispielsweise angesichts des eingeschränkten Arbeitsverbots für Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland und andernorts, das erst allmählich, jedoch immer noch nicht vollständig, aufgehoben wird, weil der Grundsatz gilt, dass den Einheimischen bzw. Alteingesessenen bei der Jobvergabe aus Sorge vor Neid und Konkurrenz der Vorzug gegeben werden sollte. Dass damit der illegalen Prostitution und mafiösen Strukturen Vorschub geleistet wird, dürfte eine der Folgen sein, die dann wieder den Teufelskreis der Beschwerden über gestiegene Kriminalität beflügeln.

[43] Als ich im Rückblick besehen auch einmal als „Gastarbeiterin“ bezeichnet wurde, sprach das für mich Bände über die Wahrnehmung von „Ausländern“, die dann allesamt als Gäste zu fungieren scheinen. In einem fremden Land Gäste arbeiten zu lassen, zeugt allerdings zugegebenermaßen von wenig Höflichkeit oder Taktgefühl.

[44] Mit Dank an Manuel Rode für den Hinweis auf diese Motivlage.

[45] Wobei Arbeit hier im Sinne mancher Gewerkschaftler offensichtlich vorwiegend als „Lohnarbeit“ bzw. bezahlte Arbeit verstanden wird, und keineswegs solche miteinschließt, die sich auf alltägliche Haushaltstätigkeiten, Kindererziehung und andere durchaus auch als Arbeit zu wertende Vorgänge wie Einkäufe oder Haustierpflege bezieht (wobei es inzwischen viele gibt, die sich diese Tätigkeiten auch bezahlen lassen oder daraus eben einen „Job“ machen). Da diese „ohnehin gemacht werden müssen“, unabhängig davon, wie oder ob sie entlohnt werden oder nicht, werden sie angesichts der Kaufkraft und des Tauschwerts, die dem Geld zugeschrieben werden, in ungerechtfertigter Weise entwertet bzw. herabgestuft, solange sie unbezahlt bleiben.

[46] Ganz abgesehen davon, dass die Reichsten der Reichen nicht ausschließlich über Arbeit und Jobs vermögend wurden, sondern auch durch Spekulation, Beziehungen bzw. Einheiratung
     und Erbe.

[48] Erhard Friedberg: Zur Politologie von Organisationen, in: Küpper/Ortmann 1988, S. 39.

[49] Crozier/Friedberg 1979, S. 71.

[50] Dies., S. 68.

[51] Dies., S. 69.

[52] Dies., S. 172.

[53] Dass man sich ein Vakuum schwer vorstellen kann bzw. nicht einfach akzeptieren und so stehenlassen möchte, scheint typisch menschlich zu sein. Aber genau dies scheint oft das Überleben zu sichern, denn Leere wird oft fälschlicherweise auch mit dem Tod assoziiert.

[54] Mit Dank an Melanie Adelt für diese Gedanken.

[55] Crozier/Friedberg, S. 56f.

[56] Neuberger 1995, S. 216.

[57] Günter Ortmann/Arnold Windeler/Albrecht Becker/Hans-Joachim Schulz: Computer und Macht in Organisationen. Mikropolitische Analysen. Opladen 1990, S. 57.

[58] Neuberger 1995, S. 217.

[59] Klaus Türk in einer Buchbesprechung, in: Management Revue 1993 (2), S. 163.

[60] Neuberger 1995, S. 217.

[61] Allein das Denken in den Vordergrund zu stellen, erscheint verkürzt und gefährlich, wie umgekehrt allein das Fühlen und Empfinden. Denken ist genauso wenig ein losgelöster Vorgang wie Fühlen. Für echte innere und äußere Freiheit bedürfte es zusätzlich noch vieler anderer Mittel, an deren Ausgangspunkt man eventuell das nicht-dichotome und ideologiefreie Reflektieren setzen könnte. Gefühle in Einklang mit dem Denken zu bringen, ist mindestens ebenso essentiell. Dass Denken genauso Bewegung bedeutet (durch die Schwingungen der Neuronen) wie Gefühle und Stimmungen, erscheint mir logisch und bedeutsam, was man schon daran merkt, dass Denken viel Fortschritt initiieren kann und dies ja häufig genug auch tut.

[62] Ders., S. 31.

[63] Ders., S. XIV.

[64] Ders., S. 33.

[65] Vgl. Roy G. D´Andrade: „Cultural Meaning Systems“, S. 88-119, in: Culture Theory: Essays on Mind, Self and Emotion, ed. by Richard A. Shrewder and Robert A. LeVine, Cambridge 1984, S. 98.

[66] Scott, S. 34.

[67] Vgl. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1924.

[68] Scott, S. 35-37.

[69] Ders., S. 37f.

[70] Vgl. hierzu Émile Durkheim: The Elementary Forms of Religious Life, New York 1961 (Original 1912) und Talcott Parsons: The Social System, New York 1951.

[71] Vgl. Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell: „Introduction“, S. 1-38, in: The New Institutionalism in Organizational Analysis, ed. by Walter W. Powell and Paul J. DiMaggio, Chicago 1991.

[72] Vgl. D´Andrade, S. 88.

[73] Erneut zu erweitern durch „Bilder“.

[74] Vgl. Scott, S. 40 und Weber 1924, S. 4 und 11.

[75] Scott, S. 40f.

[76] Berger/Luckmann 1967.

[77] Peter L. Berger/Hansfried Kellner: Sociology Interpreted: An Essay on Method and Vocation, New York: Garden City 1981: „Every human institution is, as it were, a sedimentation of meaning or, to vary the image, a crystallization of meaning in objective form.“, S. 31.

[78] Clifford Geertz: The Interpretation of Cultures, New York 1973, S. 17.

[79] Solche Repräsentationen bleiben ohne subjektive Realität, in der englischen Fassung ausgedrückt „unless they are ongoingly brought to life in actual human conduct“. Siehe Berger/Luckmann 1967, S. 75.

[80] John R. Searle: Speech Acts: An Essay in the Philosophy of Language, Cambridge 1969. Vgl. D´Andrade 1984.

[81] Vgl. Scott, S. 41f.

[82] Dennoch glaube ich nicht daran, dass das, was ein Soziologe, dem es vorrangig um wirtschaftliche Verwertbarkeit zu gehen schien, einmal diesbezüglich geäußert hat, wirklich gilt. Nämlich, dass es bildhaft im Leben wie im Fußball sei: wenn man seine Leistung nicht erbringe, stelle einen der Trainer eben nicht wieder auf. Ganz abgesehen davon, dass das auch für den Fußball nicht gilt. Dort verhindern eher körperliche Verletzungen, dass die Spieler regelmäßig kicken können. Und auch Chefs handeln oft nach ganz subjektiven Gesichtspunkten bei der Wahl oder dem Einsatz ihrer Angestellten, angefangen von Sympathie oder Attraktion bis hin zu Verwandtschaftsbeziehungen. Es sei denn man ist bereit, „Leistung“ viel weiter zu fassen als es mir in diesem Kontext legitim und passend erscheint.

[83] Ders., S. 42.

[84] Ebd.

[85] Ders., S. 43f.

[86] Deren Effektivität interessiert eventuell Betriebswirtschaftler, Manager oder Kunden, und zwar aus ganz unterschiedlichen Motivlagen, stärker.

[87] Ders., S. 44.

[88] DiMaggio/Powell 1983.

[89] Scott, S. 45.

[90] Wobei letztere ihre Motive eventuell nur besser zu verbergen oder zu verschleiern verstehen.

[91] Ders., S. 44f.

[92] Berger/Luckmann 1967, S. 92.

[93] „Legitimation explains the institutional order by ascribing cognitive validity to its objectivated meanings. Legitimation justifies the institutional order by giving a normative dignity to its practical imperatives“. Berger/Luckmann 1967, S. 93

 

[94] John W. Meyer/W. Richard Scott: „Centralization and the Legitimacy Problems of Local Government“, S. 199-215, in: Organizational Environment: Ritual and Rationality, ed. by John W. Meyer and William Richard Scott, Beverly Hills CA 1983, S. 201.

[95] Meyer/Scott 1983, S. 202.

[96] Scott, S. 46. Vgl. Stinchcombe: „A power is legitimate to the degree that by virtue of the doctrine and norms by which it is justified the power holder can call upon sufficient other centres of power, as reserves in case of need to make his power effective.“ Arthur L. Stinchcombe: Constructing Social Theories, Chicago 1968, S. 162. Zuletzt auch im Fall von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu beobachten, die eine Freundin begünstigt haben soll. Diese Form des Nepotismus zieht sich historisch gesehen stets durch menschliche Gesellschaften, die dadurch dem Ruf nach Chancengleichheit natürlich nicht gerecht werden können. Mächtige Personen zu kennen und von ihnen zu profitieren, gilt dann oft sogar als ganz selbstverständlich. Solange dies so ist, wird Macht auch immer wieder missbraucht werden.

[97] Scott, S. 47.

[98] Weber 1924, S. 24.

[99] Parsons 1953.

[100] J. W. Meyer: „Conclusion: Institutionalization and the Rationality of Formal Organizational Structure“, S. 261-282, in: Organizational Environments: Ritual and Rationality, ed. by John W. Meyer and William Richard Scott, Bevery Hills CA 1983.

[101] Scott, S. 49.

[102] Die Existenz eines freien Willens halte ich für zentral, auch wenn manche Neurobiologen, Psychologen und Philosophen diesen in Frage stellen. Dass es durch ihn zu wishful thinking,
   
also zu Wunschdenken, kommen kann, gehört in den Bereich der Kritikfähigkeit des Menschen: zu erkennen, dass mein freier Wille mich auch auf gedankliche und tatsächliche Abwege führen 
    kann, gilt es dann zu korrigieren. Aber auch genau dafür ist der freie Wille unter anderem auch da.

[103] DiMaggio/Powell 1991.

[104] Scott, S. 49-52.

[105] Ders., S. 53.

[106] Scott, S. 54.

[107] James G. March/Herbert A. Simon: Organizations, New York 1958. Vgl. auch Richard R. Nelson/Sidney G. Winter: An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge Massachusetts 1982.

[108] Sidney G. Winter: „Survival Selection and Inheritance in Evolutionary Theories of Organizations“, in: Organizational Evolution: New Directions, ed. by Jitendra V. Singh: Newbury
    Park CA 1990, S. 274f.

[109] Scott, S. 55. Siehe auch die sehr richtigen Theorien von Niklas Luhmann zu „System“ und „Umwelt“ allgemein.

[110] Scott, S. 56.

[111] Ebd.

 

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                                                                                                       eingefügt am 4. Februar 2016